Bannstreiter
Normalerweise wehte immer eine leichte Brise über das Meer herein, und selbst die Wüstenwinde kühlten ab, sobald sie über die ausgedehnten Seen strichen. Als Alvin in den wolkenlosen Himmel sah, bemerkte er ein schlierenhaftes Wabern, hoch über ihren Köpfen. Das Phänomen ähnelte dem flirrenden Sonnenglast, der häufig in der Wüste oder ähnlich kargen Landstrichen zu finden war.
»Unsere Truppen sind vollständig«, meldete Alvin, obwohl er mit den Gedanken ganz woanders weilte. »Dreihundert Mann leichter Reiterei, die Rationen für zwei Tage in ihren Satteltaschen mit sich führen. Das sollte reichen, um bis südlich der Seen vorzustoßen. Bevor es in die Große Öde geht, brauchen wir aber neuen Proviant, und es ist fraglich, ob wir den dort so schnell bekommen werden.«
»Sprich am besten mit Hatra darüber«, riet ihm Bree. »Die Schattenmutter hat bald Zeit für euch, ich soll euch bereits in ihr Zelt führen.«
»Da ist noch etwas«, meldete sich Bornus zu Wort.
Alvin warf dem Kameraden einen warnenden Blick zu, doch zu spät. Brees Neugier war bereits geweckt. »Ja, sprich ruhig«, forderte sie.
»Es geht nur um etwas, mit dem uns der König ständig in den Ohren liegt« versuchte Alvin ihre Erwartungen zu dämpfen. »Bei Horvuk sind mehrere Fischer vorstellig geworden, die behaupten, der Wasserspiegel in der Tausendsee wäre gesunken.«
Bree nickte nur, als wüsste sie schon darüber Bescheid. »Sprecht auch darüber am besten mit der Schattenmutter«, sagte sie nur.
Ihre Worte hingen noch halb in der Luft, als sie auch schon auf dem Absatz kehrtmachte und vorwegging, um ihnen den Weg zu weisen.
Hinter der Zyklopenmauer
Die toten Pilger zur Steilküste zu schaffen, um sie der See zu übergeben, war eine unangenehme Aufgabe, doch sie musste getan werden, bevor die Verwesung einsetzte. Die magischen Sphären mit den entnommenen Herzen zerschellten ebenfalls am Steilhang und spülten mit der hohen Gischt davon.
Rorns Mantel stank allmählich nach Blut und Tod, als er endlich den letzten Leichnam zum Abgrund trug. Gerwins Körper in die Tiefe zu schleudern fiel ihm besonders schwer, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass dem Jungen wenigstens die entsetzliche Existenz als Herzloser erspart geblieben war.
»Verdammter Bann«, murmelte Rorn zum Abschied, denn er haderte mit dem Gedanken, dass es vielleicht die Begegnung mit ihm gewesen war, die Gerwin in die Hände seiner Mörder geführt hatte. »Und elender Schnitter!«
Sein Schwert ertrug die Anschuldigung so ruhig und schweigsam wie immer. Möglicherweise teilte es sich aber auch in dem Gedanken mit, der Rorn als Nächstes durch den Kopf ging. Nein , schalt sich der Bannstreiter selbst für seine harschen Selbstzweifel. Gerwins Weg war schon vorgezeichnet, lange, bevor wir uns begegnet sind. Da gehörte er bereits zu den Pilgern, die nach Syrk strebten, um den Weg in die viel gepriesene Domäne anzutreten.
Dass die Pilger in ihrem gelobten Land in den Tod gehen und als Herzlose wiedergeboren werden sollten, hatte niemand voraussehen können. Weder sie noch ein Außenstehender. Am allerwenigsten Rorn.
Trotz allem niedergeschlagen suchte er Venea auf, die den ganzen Morgen über am Portal zugebracht hatte. Auf dem Weg zu ihr musste der Bannstreiter dauernd an die Blutjade denken, die er seit dem Kampf in Hadiks Turm bei sich führte. Ob sich vielleicht mit diesem mächtigen Machtspeicher ein Weg über die Zyklopenmauer finden ließ? Wo die Schattenjade bei Veneas Levitationsversuch versagt hatte, mochte der Blutstein sie vielleicht bis in unendliche Höhe katapultieren und auf der anderen Seite wieder sicher zur Erde schweben lassen.
Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.
Rorn zögerte weiterhin, dieses Wagnis einzugehen. Er misstraute schon der Schattenjade, doch an dem eiförmigen Amulett, das er in einer Innentasche des Mantels trug, klebte zusätzlich Blut. Hadiks Blut, daraus konnte einfach nichts Gutes erwachsen. Venea sah das genauso, obwohl sie schon einige Male angeboten hatte, das Wagnis trotzdem einzugehen.
Als das Portal in Sichtweite kam, erkannte Rorn schon von weitem, dass die Siegel der Hexe gebrochen waren. Ein weißblaues Gleißen umflirrte den schwarzen Stein, während der Bereich unterhalb des Bogens seltsam unscharf wirkte. Fast so, als wehten dort feine Schleier, die den Blick auf die dahinterliegende Landschaft trübten. Das Tor stand also von dieser Seite aus offen, doch von Silberhaupt und seinen
Weitere Kostenlose Bücher