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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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Einfluss der Greifen oder anderer Dämonen geraten war.
    Wie lange die ersten Pilger schon hier weilten, ließ sich nicht genau sagen. Neben den Essenskörben und den gefüllten Krügen mit Speis und Trank gab es noch weitere Anzeichen dafür, dass in diesem leicht abschüssigen Marmorbau seit langer Zeit fleißige Hände am Werk waren. In einigen Ecken türmte sich noch über Generationen hereingewehter Flugsand zu kleinen Hügeln auf. Weite Teile der Halle waren dagegen penibel saubergefegt und aufgewischt worden.
    Als sie durch eines der großen Fenster blickten, die das Tageslicht hereinließen, atmete Rorn laut hörbar ein. Draußen waren die Trümmer einer uralten, von einem schweren Erdbeben zerstörten Stadt zu sehen, womit er allerdings gerechnet hatte.
    Ein hoher Turm war auf die Seite gestürzt und hatte dabei mehrere Gebäude unter sich begraben; bei anderen, halbversunkenen Bauten hatten die Fundamente nachgegeben. Und auch dort, wo die Mauern nicht geborsten waren, war zumindest einiges aus dem Lot geraten. Sämtliche Fassaden hatten sich ineinander verschoben, sodass schon ein flüchtiger Rundumblick zeigte, dass das Gebäude, in dem sie sich gerade aufhielten, von allen am besten erhalten war.
    Der Zustand der Ruinen stimmte durchaus mit den Berichten jener Karawanen überein, die die Große Öde in Konkurrenz zu den Schiffstransporten entlang der Küste durchquerten.
    Was Rorn allerdings verblüffte, war die Tatsache, dass es draußen nieselte. Darüber hinaus schien es, als hätte es hier in letzter Zeit häufig geregnet. Überall in den Straßen fanden sich durchnässte Sandwehen, auf denen Gras und bunte Blumen wuchsen. Schlingpflanzen schickten sich überall an, die Ruinen einzuranken. Vor allem wurden aber an jeder lohnenswerten Stelle Hirse und andere Getreidearten angebaut, um die Versorgung der Pilger zu gewährleisten. Sträucher mit Nüssen und Beeren sowie verschiedene Frucht- und Gemüsesorten bereicherten ebenso den Speiseplan, und wer das laute Meckern hörte, das aus mancher Ruine drang, der wusste auch, aus welcher Quelle das Ziegenfleisch stammte.
    »Wie geht’s weiter?«, fragte Venea ratlos.
    »Immer dem Strom der Menschen nach«, antwortete Rorn. »Silberhaupt hat heute sicherlich nicht umsonst die Schleusen zur Domäne geöffnet.«
    Ein Blick in die Halle bewies, wie gut er damit die Lage einschätzte. Nach einer kurzen Stärkung machten sich die meisten Pilger auf den Weg ins Freie, hinaus zum Marktplatz, auf dem schon seit Äonen kein Handel mehr getrieben wurde.
    Unauffällig fädelten sich Rorn und Venea in die Kolonnen der Pilger ein. Sich einfach an den Vorderleuten orientierend gelangten sie zu einer in stiller Andacht versammelten Menge, die Silberhaupt ehrfürchtig umstand. Der Besessene mit dem matt schimmernden Helm kniete auf der obersten Stufe einer marmornen Empore, angetan mit einer Kette aus rot schimmernden Steinen, die der Blutjade aus Hadiks Turm verdächtig ähnlich sahen.
    Beide Hände eben noch demutsvoll zum Himmel erhoben führte er mit der Rechten plötzlich eine herrische, quer durch die Luft schneidende Geste aus. Der leichte Sprühregen, der die ganze Zeit auf sie herabgenieselt war, endete abrupt, von einem Herzschlag auf den anderen. Gleichzeitig brach die Sonne zwischen den Wolken hervor.
    Die versammelte Menge stieß verzückte Laute aus, verstummte aber sofort, als Silberhaupt erneut das Wort ergriff.
    »Sehet«, rief er in die versammelte Menge hinein. »Sehet den einstmals dürren Boden, über den ich es regnen ließ, auf dass er fruchtbar werde. Er soll eure neue Heimat, eure Domäne werden. Doch wisset, dass es Widersacher gibt, die uns das gelobte Land nicht gönnen, in dem das Volk herrscht und nicht der König.«
    Ein einziger Laut des Missmutes stieg von der Menge auf, kurz und voller Zorn. Im gleichen Moment, da die Steine der Blutkette aufleuchteten, kehrte jedoch wieder Stille ein.
    Der entrückte Ausdruck, den Rorn in den umstehenden Gesichtern entdeckte, gab ihm sehr zu denken. Er stand inmitten von Menschen, die nach Armut und Scheitern stanken. Rorn kannte den Geruch nur zu gut.
    »Sie stehen alle unter Jonars Bann«, erklärte Venea dazu. »Dich erreicht sein Zauber nicht, weil dein Bann dich davor bewahrt, und mich schützen die Schlangenarmbänder. Aber um uns herum findest du kaum noch einen freien Gedanken.«
    Rorn hatte plötzlich den Eindruck, unter lauter Untoten zu stehen, obwohl doch noch allen das Herz in der Brust

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