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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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schlechtes Gewissen bereiten konnte. Aber spätestens in zwei Jahren, wenn er einen Schuss in die Höhe getan hatte und sein pausbäckiges Gesicht so abgehärmt wie das seiner Kameraden aussah, half ihm diese Taktik nicht mehr weiter.
    »Such dir lieber ein ehrliches Handwerk«, rief ihm Rorn zum Abschied nach. »Als Dieb bist du nicht sonderlich gut zu gebrauchen.«
    Mehr konnte er für den Jungen nicht tun. Dazu gab es einfach zu viele Streuner wie ihn, auf dem Lande wie in den Städten. Rechtlose, denen die Straße längst die Familie ersetzte.
    Nachdem Rorn den toten Magnus hinter dem Haus begraben hatte, machte er sich ebenfalls auf den Weg. Mit dem Silberamulett und dem Buch in der Satteltasche ritt er nach Leru, wo Hadik schon auf ihn wartete.

5. Schattenschwestern in Gefahr
    Die Kaufleute am Untermarkt wussten aus Erfahrung wie schnell die Dunkelheit hereinbrach, sobald die Sonne im Westen versank. Als Venea den großen, zur Küste hin offenen Platz erreichte, waren bereits die meisten Standplätze verwaist. Und dort, wo man noch zusammenpackte, hielt niemand mehr nach verspäteten Käufern Ausschau. Alles, was die Händler noch wollten, war, die letzten Kisten, Säcke und Körbe auf Handkarren zu verladen und in die angrenzenden Speicher zu schaffen.
    Auch die Frauen aus den umliegenden Kiepengassen, die ihre Waren in geflochtenen Tragekörben feilboten, nutzten das letzte Tageslicht, um noch im Hellen nach Hause zu gehen. Venea trieb das genaue Gegenteil an. Sie wartete darauf, dass das glutrote Halbrund hinter den westlichen Turmspitzen endlich zu einem schmalen Streifen verlief. Sobald sich die Dunkelheit über die Hafenstadt senkte, würde es ein Leichtes sein, etwaige Verfolger im Gewirr der engen Gassen, Stichwege und Hinterhöfe abzuhängen.
    Die Hexe ließ es sich nicht anmerken, während sie an der hüfthohen Grenzmauer entlangflanierte, doch sie fühlte sich schon den ganzen Nachmittag über beobachtet. Konnte es sein, dass Hadik von ihrem Vorhaben wusste, oder zumindest etwas ahnte? Falls er wirklich irgendwelche Schergen auf sie angesetzt hatte, verstanden es diese jedoch gut, sich vor ihr zu verbergen. Sosehr sie sich auch mit allen Sinnen bemühte, es gelang ihr einfach nicht, eine verdächtige Gestalt auszumachen.
    Die emsigen Händler ignorierten Veneas forschende Blicke, so wie sie jedem den Rücken zukehrten, der womöglich fordern könnte, die frisch verstaute Ware noch einmal auszulegen. Ein halbes Dutzend Kinder mit schmutzigen Gesichtern balgte sich um drei verwelkte Kohlköpfe, die so aussahen, als wären sie schon mehrmals über den ganzen Markt gerollt, bis ein paar mit Reisigbesen bewaffnete Frauen dem lautstarken Treiben ein Ende setzten. Die daraufhin folgende Stille verstärkte noch den trostlosen Eindruck des tagsüber so belebten Platzes.
    Es war jene ruhige Zeitspanne zwischen den Geschäften des Tages und den Vergnügungen der Nacht, die die meisten Einwohner in den eigenen vier Wänden verbrachten und die Venea auf ihre Weise zu nutzen gedachte. Entspannt legte sie beide Hände auf die Sandsteinbrüstung und sah aufs offene Meer hinaus. Die natürliche Felsbucht, der ursprüngliche Hafen, aus dem Leru entstanden war, lag gut dreißig Königsellen tiefer. Eine Unzahl von Rampen, Seilzügen, schmalen Stiegen und breiten Treppen sorgte dafür, dass die im Hafen angelandeten Waren trotzdem zügig in sämtliche Viertel der terrassenförmig ansteigenden Stadt gelangten.
    Ein würziger, von Salzwasser und angeschwemmten Algen geschwängerter Geruch erfüllte die Luft. Nur ein paar heimkehrende Fischerboote zerpflügten noch die spiegelnde Wasseroberfläche. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die eiserne Sperre, die tagsüber auf dem Meeresgrund ruhte, so weit angezogen, dass sie jedem Schiff mit nennenswertem Tiefgang unweigerlich den Kiel aufriss. Die Männer des Wachkommandos, die die schwere Kettenwinde bedienten, marschierten bereits über die äußere Seemauer heran.
    Venea schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Etwa auf ihre Ohren, die prompt das samtpfötige Tippeln der gefleckten Katze wahrnahmen, die leise von der Seite her nahte. Vor allem aber auf ihren verborgenen Sinn, der rechts oberhalb des Herzens schlummerte! Zumindest spürte die Hexe jedes Mal ein Prickeln in der Brust, wenn sie ihren Geist öffnete und in alle Richtungen entließ.
    Die Gefühle der Menschen, die sie mit ihrem dritten Auge streifte, erzeugten eine Art Rauschen, das mal heller

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