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Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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gebliebenen Buch hatte die übrige Bande wohl keinen sonderlich großen Wert beigemessen.
    »Wusstet ihr, dass das hier das Haus eines Magiers ist?«, wollte Rorn wissen.
    Gerwin erschauerte bei der Frage. »Nein«, flüsterte er. »Unsere Familien sind Pilger, wir stammen nicht von hier. Meine Freunde und ich haben das Haus zufällig beim Pilzesammeln entdeckt und dachten, es stehe schon länger leer. Aber so, wie der Tote aussieht, wundert es mich nicht, wenn er ein Hexenmeister war. Habt Ihr gesehen, dass sein Kopf leer ist? Als ob ihm jemand das Hirn ausgesaugt hätte …«
    Die bloße Gegenwart des Toten schien Gerwin weit weniger zu stören als der Gedanke, er könnte zu Lebzeiten ein Magier gewesen sein. Vermutlich hatte der Junge schon häufiger Erschlagene in ihrem Blut liegen sehen.
    »Das Buch in deinen Händen! Was glaubst du, was du dafür bekommen wirst?«
    Gerwin zuckte mit den Schultern. »Genug, um mir etwas zu essen zu kaufen, hoffe ich.«
    Rorn holte einen barosischen Halbmond aus den Falten seines Ledermantels hervor. Eine Münze, die selbst einen Erwachsenen eine Woche lang satt machen konnte. Die Augen des Rotschopfs leuchteten auf, als Rorn sie zwischen Daumen und Zeigefinger präsentierte.
    »Wie wäre es damit?«, fragte er. »Aber zeig die Münze nicht deinen Freunden, sonst bist du sie schneller los, als du dir den Bauch vollstopfen kannst.«
    Bereitwillig hielt ihm Gerwin den abgegriffenen Lederband entgegen. Rorn blätterte kurz darin herum, entdeckte aber nur eine verschnörkelte Symbolschrift. Mit etwas Glück enthielt das Buch einige nützliche Rezepturen und Beschwörungsformeln, unter Umständen aber auch nur die Erinnerungen eines Lüstlings, der mit seinen Eroberungen prahlte. Die Zeichnung einiger mit Löwenköpfen versehener Tiermenschen sprach leider für die zweite Vermutung.
    »Hast du sonst noch etwas gefunden?«, fragte Rorn beiläufig. »Etwa das Amulett, das Magnus Jonar um den Hals getragen hat?«
    Der Kleine war dem Toten nahe genug gewesen, um den entleerten Schädel zu bemerken. Das hatte Rorn nicht vergessen. Obwohl sein Blick scheinbar fest auf das Buch gerichtet war, bemerkte der Krieger genau, wie Gerwin vor dem Kopfschütteln leicht zusammenzuckte.
    Rorn sah in die Höhe. Streng, mit einer Spur von Enttäuschung im Blick.
    Gerwins Kinn sackte herab.
    Leise seufzend langte er in seine Hosentasche und zog eine aus winzigen Gliedern bestehende Silberkette hervor, deren Anhänger einem Spinnennetz nachempfunden war. Bei dem Toten handelte es sich also tatsächlich um Magnus Jonar. Mit Hilfe dieses Amuletts konnte Rorn das sogar beweisen.
    Erneut langte er in seinen Mantel. Diesmal zog er ein Silberstück hervor.
    Gerwins Augen weiteten sich vor Überraschung.
    »Für mich?«, rief er erfreut, als könnte er sein Glück kaum fassen.
    »Versteck die Münze gut«, riet ihm der Bannstreiter. »Sonst wirst du nicht lange Freude an ihr haben.«
    Gerwin nahm sie ehrfürchtig entgegen und umklammerte sie mit beiden Händen, als könnte sie ihm sonst davonfliegen. Dass er plötzlich einen solchen Schatz sein eigen nennen durfte, erschien ihm wie ein Traum.
    »Braucht Ihr keinen Diener, Herr?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ich könnte für Euch kochen, waschen und nähen. Ich bin sehr fleißig und stehle auch nicht!«
    Rorn ließ Jonars Amulett vor- und zurückpendeln, um daran zu erinnern, wie es wirklich um Gerwins Ehrlichkeit bestellt war. »Wenn du so gut kochst, wie du lügst, dürfte dein Fraß ungenießbar sein«, spottete er dabei.
    Schmollend schob der Junge die Unterlippe vor. »Ich stehle nichts von einem Herren, dem ich diene, wollte ich damit sagen.« Plötzlich hellte sich seine Miene wieder auf. »Aber ich würde jederzeit für Euch stehlen!«
    Der bettelnde Blick, den er dabei aufsetzte, hätte selbst steinerne Herzen zu erweichen vermocht. Aber selbst wenn Rorn gewollt hätte, er durfte diesen Jungen nicht in seine Dienste nehmen. Das wäre nur Gerwins sicherer Tod gewesen, kein Weg in ein besseres Leben.
    »Verschwinde lieber«, empfahl der Krieger grob, »bevor ich meine Großzügigkeit bereue und dir die beiden Münzen wieder abnehme.«
    Gerwin fragte nicht nach Gründen, sondern senkte nur den Kopf. Sein Leben bestand bereits aus einer unendlichen Abfolge von Enttäuschungen, deshalb würde er auch diese verkraften. Statt davonzurennen, schlich der Rotschopf mit hängenden Schultern hinaus. Der Knabe wusste wirklich ganz genau, wie er einem Erwachsenen ein

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