Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bannstreiter

Bannstreiter

Titel: Bannstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
schmiegte sich ohne sichtbare Lücke am Körper an.
    Zweifellos handelte es sich um einen hochgestellten Krieger. Sein schnabelförmig vorstehender Helm wies goldene Intarsien auf: zwei Blitze auf Schläfenhöhe, die sich am Hinterkopf vereinten.
    Das halsbrecherische Manöver imponierte den übrigen Gryff gewaltig. Spitze Laute der Unterstützung zerschnitten die Luft. Schmerzhaft hohe Töne, die sich an der Grenze zum Hörbaren bewegten.
    Der gewaltige Gryff nahm die Huldigung der Menge mit sichtlicher Genugtuung entgegen. Zufrieden schlug er mit seiner Rechten mehrmals auf die eigene Herzgegend ein.
    »Goron!«, rief er dabei aus. »Kriegsherr der Nordermark!«
    Sehr gut. Solange er auf seinem Brustkorb herumtrommelte, langte er wenigstens nicht nach dem Streithammer an seiner Seite. Außerdem wusste Eonis nun, wie sich der neue Anführer der Gryff-Dynastie nannte. Ob Goron sich als Kriegsherr bezeichnete, weil ihm kein Adelstitel zustand oder weil er die Herren der Nordermark tatsächlich in die Schlacht führen wollte, stand dagegen noch offen.
    Eonis trat aus der Deckung seiner Leibgarde hervor.
    Angesichts der allgegenwärtigen Übermacht vermochte ihm ein Schutzwall aus Leibern ebenso wenig zu helfen wie die drei Kompanien treuer Gardisten, die an dem eroberten Turm in Stellung lagen.
    »Du!« Gorons Stimme zitterte vor Erregung, als er anklagend auf Eonis deutete. »Du bist der Gebieter aller Leu! Drum sage uns, was aus unseren Fürsten wurde, die zu dir nach Myandor aufgebrochen sind!«
    Primitiv, aber keineswegs ahnungslos . Eonis bereute umgehend, dass er – Peracs Rat folgend – auf den eigenen Helm verzichtet hatte, um seine friedlichen Absichten zu demonstrieren.
    »Genau aus diesem Grunde hat der König dich um diese Audienz gebeten!« Eonis schrak zusammen, als Peracs Stimme nur zwei Schritte von ihm entfernt zur Antwort ansetzte. »So, wie ich es dir und deinem Volk versprochen habe!«
    Wie aus dem Boden gewachsen standen der Großmeister und seine Hexe plötzlich unter ihnen. Es war Eonis ein Rätsel, wie sie das fertiggebracht hatten, aber er wusste inzwischen, dass die Schlangenpriester solch überraschende Auftritte liebten.
    »Hört her, ihr stolzen Herrscher der Lüfte!«, fuhr Perac ohne Pause fort. »Ich will euch berichten, was den Edlen der Gryff widerfahren ist. Aber Vorsicht! Was ich zu erzählen habe, ist eine traurige Geschichte. Macht euch also bereit, dicke Tränen der Trauer zu vergießen.«
    Dicke Tränen.
    Das war die verabredete Losung.
    Ohne den Blick von Goron zu nehmen, tastete Eonis nach einer Falte seines Gewandes, in der mehrere Zyklopentränen klebten. Unauffällig streifte er die trüben Perlen ab, sodass sie neben ihm zu Boden fielen. Leises Klirren bezeugte, dass sie beim Aufprall zerplatzten. Nicht nur zu seinen Füßen, sondern auch zu denen der übrigen Greifen. Der sterbende Gigant hatte vor seinem Tode so viel geweint, dass jedem Greif eine Handvoll geronnener Tränen zur Verfügung stand.
    Keiner der Trutzadler bemerkte, was vor sich ging.
    Die Perlen zersplitterten zu leise, als dass es für jemanden außer den Greifen zu hören war. Und da die feinen Reste verwehten, ohne eine Spur zu hinterlassen, fragte sich selbst Eonis kurz darauf, ob die matten Perlen wirklich je existiert hatten oder nur eine Ausgeburt seiner überreizten Phantasie waren.
    Der versprochene Zauber ließ jedenfalls auf sich warten. Eonis spürte nichts von der sich ausbreitenden Kälte oder dem Schmerz, der Peracs letzten Zauber begleitet hatte. Ratlos lauschte er der rührseligen Geschichte, die der Weißbärtige den Trutzadlern auftischte: Angeblich hatte eine Horde Zyklopen den Fürsten der Nordermark aufgelauert und sie bis auf den letzten Mann niedergemacht. Eonis und seine Getreuen wären den Verbündeten zwar noch zur Hilfe geeilt, aber als die Zyklopen die Flucht ergriffen, war ihnen eine Verfolgung unmöglich gewesen.
    Anfangs musste sich Eonis noch ein Grinsen verkneifen, doch je länger er Peracs geschliffenen Ausführungen lauschte, desto stärker rührten sie auch an seinen Gefühlen. Und als die Schlangenzunge auch noch ausschmückte, wie die sterbenden Gryff mit ihren letzten Atemzügen bedauert hatten, ihre Schwingen nicht den Lebenden schenken zu können, damit die Zyklopen ihre gerechte Strafe erhielten, flackerten entsprechende Erinnerungsfetzen auf.
    Ja, wirklich, Eonis sah den Ablauf der Ereignisse mit einem Mal ganz deutlich vor sich: Der weise Perac hatte

Weitere Kostenlose Bücher