Bannstreiter
Schattenschwester schien. »Wir sollten nur die Jade stehlen, die Hadik heimlich hortet! Damit kein Schindluder mit ihr getrieben wird, wie es unter der Herrschaft der Greifensteiner geschehen ist.«
Natürlich, das behaupteten ja alle, die solche Machtspeicher schufen oder sich vagabundierende Magie untertan machten. Nie hatte jemand etwas Böses im Sinn, wenn er die Dinge zu seinen Gunsten beeinflusste, doch das ewige Gleichgewicht ließ sich nicht betrügen. Für jeden Vorzug, den die Welt hinter der Welt gewährte, musste ein anderer den Preis zahlen. Niemand wusste das besser als Rorn, denn der Bann, unter dem er stand, erinnerte ihn jeden Tag aufs Neue daran.
Die beiden jungen Schattenschwestern ahnten nichts von den Gedanken, die ihn quälten. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt nur noch dem Stöhnen und Poltern, das aus dem Turmfenster zu hören war.
Namenloser Schrecken spiegelte sich auf den Gesichtern der beiden Frauen wider, die Auseinandersetzung mit Rorn schien vergessen.
»Venea!«, hauchte Tabeth, bevor sie Rorn bettelnd ansah. »Sie ist doch auch dort oben!«
Wenn ihn die Rothaarige mit ihren tränennassen Augen gerade ein zweites Mal täuschte, dann verdiente er es eben, überrumpelt zu werden.
»Kommt schon!«, befahl er grob. »Auf der Westseite gibt es einen Eingang. Auf diese Weise kommen wir am schnellsten nach oben.«
Tabeth und Bree schlossen sich ihm an, und anstatt ihn hinterrücks zu überfallen, machten sie sich sofort an der verschlossenen Tür zu schaffen.
»Ein Siegel!«, schrie Bree schon nach wenigen Atemzügen auf. »Und ein sehr starkes noch dazu. Ich weiß nicht, ob wir es zu zweit brechen können.«
Was die Hexen beinahe zur Verzweiflung trieb, erfüllte Rorn mit großer Freude. »Tretet zur Seite«, forderte er sie auf. »Ich glaube, ich habe einen Dietrich in der richtigen Größe dabei.«
Sobald sie genügend Abstand gewonnen hatten, setzte er mit Grimmschnitter zum Stoß an. Notfalls wollte er die ganze Tür zerschmettern, aber das war überhaupt nicht nötig. Als Siegel und Bannschwert aufeinandertrafen, reagierten sie in genau der gewünschten Weise. Es gab einen lauten Knall, begleitet von einer Stichflamme, die aus dem schweren Stahlschloss hervorstach.
Grimmschnitter zog einen großen Teil der Entladung an sich, trotzdem spürte Rorn heiße Funken auf den Händen. Dichter Qualm wallte ihm entgegen. Für einen kurzen Moment verschwand die Tür hinter einer grauen Wand, in der sich nur das rotglühende Schloss abzeichnete, das ihnen wenige Augenblicke später vor die Füße fiel.
Der Weg schien frei, doch als Rorn sich mit der Schulter gegen das Türblatt warf, gab sie kaum zwei Fingerbreit nach und federte umgehend wieder zurück. Was hatte das zu bedeuten? Ein vorgelegter Querbalken konnte es nicht sein, dann hätte sich die Tür überhaupt nicht bewegt. Wütend versuchte Rorn es erneut und stieß dabei sein Schwert in den entstehenden Spalt.
Grimmschnitter leuchtete auf, während er die Klinge nach oben zog. Genauso verfuhr er mit der unteren Hälfte und dem am Türsturz klaffenden Spalt. Je weiter Rorn vorankam, desto besser sah er, was ihm den Weg versperrte. Eine graue Masse, die von innen den Rahmen verklebte. Zum Glück blieb sie nicht an der Bannklinge haften, sondern verschmorte, wenn sie mit ihr in Berührung geriet.
Der ekelhafte Gestank, der dabei aufstieg, war wenigstens nicht giftig. Hustend drückte Rorn die Tür so weit auf, wie es ging, und zwängte sich ins Erdgeschoss. Anstatt ihn zu unterstützen, hatten sich die beiden Hexen ihrer Umhänge entledigt und rieben mit ihnen über den Efeu, der links und rechts des Eingangs wucherte.
»Was tut ihr da nur?«, fragte Rorn.
»Das wirst du bald sehen«, antworteten die Hexen, während sie die mit Tautropfen benetzten Außenseiten nach innen schlugen.
Der Bannstreiter fragte nicht weiter, sondern lief voran. Tabeth und Bree folgten ihm mit wenigen Schritten Abstand die Treppe hinauf. Von oben war kein einziger Laut mehr zu hören. Venea! Er wusste selbst nicht genau, warum ihn der Gedanke schmerzte, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.
Die beiden unteren Stockwerke flogen so schnell an ihm vorbei, dass er nicht einmal registrierte, wozu sie Hadik nutzte. Keuchend kam er im Obergeschoss an. Obwohl er auf alles gefasst zu sein glaubte, blieb er wie angewurzelt stehen, als er sich fünf riesigen Spinnen gegenübersah, und ebenso vielen hageren Gestalten in Waldläuferkleidung, die ein von der
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