Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Kopf, um die lästige Störung loszuwerden. „Lassen Sie mich in Ruhe, Alba, es muß längst Mitternacht sein.“
„In der Tat ist es zehn Uhr vorbei, aber Mr. Damon Routhland hat vielleicht einen anderen Zeitbegriff als wir. Mir ist dieser Mann als Ihr Vormund ohnehin nicht geheuer, hochmütig und befehlsgewohnt, wie er ist. Schneit da ins Haus, wenn anständige Leute schon im Bett liegen, und kommandiert einen herum, will mit Ihnen reden, nur weil es ihm gerade in den Kram paßt.“
Immer noch halb schlafbefangen, stand Royal langsam auf und ließ sich von der Haushälterin in den rosa Samtmorgenmantel helfen. Halbwach blickte sie in den Spiegel und stellte fest, daß sie nicht gerade gut aussah. Schnell strich sie mit der Bürste ein paarmal über das zerzauste Haar und fragte gähnend: „Haben Sie Tante Arabella Bescheid gesagt, daß Mr. Routhland gekommen ist? Sicher möchte sie es wissen.“
„Ich war bei ihr, aber ich konnte sie nicht wachkriegen. Sie hatte geklagt, nicht einschlafen zu können, und wahrscheinlich hat sie etwas genommen.“ Alba schloß den letzten Knopf und beäugte die junge Herrin prüfend. „Machen Sie sich bloß keine Sorgen, Miss Royal. Ich lasse Sie keinen Moment mit diesem Mann allein.“
Erschrocken riß das Mädchen die Augen auf. „Warum? Stimmt etwas nicht mit Mr. Routhland?“
Von ihrem verstorbenen Herrn immer dazu angehalten, ihre Meinung zu äußern, machte Alba ihrem Groll Luft. „Ich weiß wirklich nicht, was Ihr Vater sich dabei dachte, als er einem Junggesellen die Vormundschaft über Sie übertragen ließ. Ich kann mir vorstellen, wie sich die Leute in der Stadt darüber die Mäuler zerreißen. Es schickt sich nicht, daß ein junges Mädchen der Obhut eines solchen Menschens anvertraut wird.“ Alba stützte die Arme in die Hüften und fuhr streitbar fort: „Zwar ist es nicht meine Aufgabe, mit Ihnen über Herren dieser Art zu reden, aber …“
„Warum können Sie ihn denn nicht leiden, Alba?“
Die Haushälterin schüttelte mißbilligend den Kopf. „Es steht mir nicht zu, ihn zu mögen oder nicht, und ich zolle Mr. Routhland natürlich allen Respekt, der ihm als Gentleman seiner Stellung zukommt. Aber es paßt mir ganz und gar nicht, daß er Ihr Vormund sein soll, Miss.“
Royal richtete sich auf und holte tief Luft, um sich Mut zu machen. Vor dieser Unterredung war sie bisher immer zurückgeschreckt, selbst in Gedanken. „Dann sollten wir hinuntergehen, Alba.“
Sie eilten den Korridor entlang, über die Treppe, und Royal hastete, um mit der Haushälterin Schritt halten zu können, die sie in den Empfangssalon führte. Im Kamin knisterte ein wärmendes Feuer, denn draußen war es kalt.
Damon Routhland stand beim Fenster. Royal fühlte seinen Blick auf sich ruhen und ging durch den Raum auf ihren Vormund zu. Im tiefen Schatten konnte sie nur die undeutlichen düsteren Umrisse erkennen. Ein paar Schritte vor ihm blieb sie stehen wie ein verschüchterter kleiner Vogel, gleichsam auf dem Sprung zu flüchten. Hinter ihr hatte sich wie ein etwas ungewöhnlicher Schutzengel Alba Beemish aufgebaut.
Der späte Besucher löste sich aus dem Dunkel der Fensterecke und trat näher zum Kamin. Jetzt erst bemerkte Royal, daß er noch die weite Pelerine um die Schultern trug. Es mußte draußen regnen, denn das schwarze Haar, im Nacken zu einem Zopf gebunden, glänzte wie nasse Seide, als der Flammenschein darauf fiel.
„Vergeben Sie die ungebührlich fortgeschrittene Stunde“, entschuldigte Damon Routhland sich. „Aber eine unvorhergesehene Reise nach Philadelphia zwingt mich, Sie aufzusuchen. Ich kann nicht aufbrechen, ohne zuvor mit Ihnen gesprochen zu haben, da Sie bei meiner Rückkehr bereits auf dem Schiff nach England unterwegs sein werden.“
Royal seufzte vernehmlich und fragte schweren Herzens: „Wann muß ich Savannah verlassen?“
„Innerhalb der nächsten vierzehn Tage.“
„Und wie lange wird es dauern, bis ich von England wieder hierher nach Hause zurückkommen darf?“
„So lange, bis Ihre Studien abgeschlossen sind.“
Damon Routhland beobachtete Royal, wie sie gepreßt Atem holte und verzagt die Augen schloß. Er wollte ihr versichern, daß alles gutgehen und die Zeit schnell verstreichen würde. „Miss Bradford“, fragte er behutsam, „darf ich Sie Royal nennen?“
„Selbstverständlich, ja“, gab sie überrascht zurück.
„Warum setzen Sie sich eigentlich nicht? Es läßt sich dann viel besser reden.“ Er schob ihr einen
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