Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
den Kolonien ihr ein Wiedersehen mit dem Bruder und der Nichte gebracht hatte. Damals war sie, gewöhnt an das rege festliche Treiben in London, schnell von Savannah gelangweilt gewesen. Doch dann kam der Ball.
Natürlich hatte Arabella inzwischen längst von Damon Routhland gehört, dem vergötterten Liebling der jungen Mädchen von Chatham County, hatte ihn auch oft von weitem gesehen, ohne ihm freilich besonderes Augenmerk zu schenken. Sie senkte die Lider und sah vor sich wieder, wie der junge Damon den Ballsaal betrat, den Ausdruck von Langeweile auf den hübschen Zügen. Daß er selbst von Arabella Bradford keine besondere Kenntnis nahm, erregte ihren Widerspruch. Sie war es nicht gewohnt, daß Männer sie übersahen. So hatte sie die Herausforderung angenommen. Wahrscheinlich hatte sich Arabella später nicht gerade sehr damenhaft ihm gegenüber benommen.
Doch an dem unangenehmen Ende war der Gute selber schuld gewesen. Warum hatte er bloß einen leidenschaftlichen Flirt ernst genommen?
Die Pferde kamen zum Stehen, der Wagen hielt und brachte Arabella jäh in die Gegenwart zurück. In einer Wolke knisternder Taftseide ließ sie sich von dem treuen Tobias aus der Kutsche heben. Die braunen Augen leuchteten entschlossen auf, und Arabella Bradford eilte die Stufen zum Eingangsportal von Swanhouse Plantation hinauf. Sie würde Damon Routhland schon klarmachen, daß Royal zu ihr gehörte, und sie würde alles tun, um dieses Ziel zu erreichen. Die Kleine war so verängstigt und elend, und Arabella würde Savannah nicht ohne Royal verlassen.
Die weite Doppelpforte wurde aufgetan. Ein gemessen dreinschauender Diener maß die Besucherin mit fragendem Blick.
„Ist Mr. Routhland zu Hause?“ erkundigte sie sich ungeduldig. „Wenn ja, führen Sie mich sofort zu ihm.“
Bevor der Diener etwas hätte entgegnen können, ließ sich eine dunkle Stimme aus der Bibliothek vernehmen. „Schon gut, Davis, führen Sie die Dame zu mir.“
Sie hob den Blick zu Damon Routhland, der sie anschaute, als wäre sie ein Kind, das sich eben gehörig danebenbenommen hatte. „Miss Bradford“, sagte er gelassen, „pflegen Sie eigentlich immer die Dienstboten anderer Leute zu schikanieren?“
„Ich habe mit Ihnen zu reden“, gab sie kühl zurück und rauschte an ihm vorbei in die Bibliothek.
Er folgte ihr lächelnd, ließ die Tür absichtlich offen und wies auf einen Sessel. Sie wehrte kopfschüttelnd ab. „Ich nehme nicht an, daß Sie mir einen Höflichkeitsbesuch abstatten.“
„Sie wissen recht gut, warum ich hier bin, Damon.“
„Es hieße uns beide unterschätzen, wollte ich vorgeben, dem wäre nicht so. Ich wußte, daß Sie kommen würden. Warum hat es eigentlich so lange gedauert? Ich habe Sie schon in den letzten Tagen erwartet.“
Arabella wollte nicht zugeben, daß sie so lange für ihren Entschluß gebraucht hatte, nach Swanhouse Plantation zu fahren. „Gut, das spart uns Zeit“, meinte sie. „Sie werden nun hoffentlich eingestehen, daß es besser ist, Royal meiner Obhut zu überlassen.“
Eigentlich war es Arabellas Seelenfrieden recht abträglich, daß Damon Routhland so nahe vor ihr stand. Zu durchdringend war der Blick aus seinen goldbraunen Augen. Unsicher verschränkte sie die Finger. „Ich flehe Sie an, lassen Sie mich Royal mit nach Paris nehmen.“
Er schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht erlauben. Vergessen Sie nicht, daß es der ausdrückliche Wunsch Ihres verstorbenen Bruders war, Miss Royal solle in London erzogen werden.“
„Ich habe es nicht vergessen, und ich will natürlich dem Willen meines Bruders entsprechen“, versicherte sie und schaute Damon Routhland erwartungsvoll an. Der machte keinerlei Anstalten, dazu Stellung zu nehmen.
Arabella ließ sich auf der Kante eines Sessels nieder und bat: „Ich verspreche Ihnen, daß Royal nach London auf diese Schule geschickt wird. Ich werde gern alles tun, was Sie verlangen, aber nehmen Sie mir Royal nicht weg. Sie ist meine einzige Blutsverwandte.“
„Sie haben immerhin noch Ihren Cousin Victor und seine liebe Familie“, bemerkte Routhland trocken.
Beschwörend streckte sie ihm die Hand entgegen. „Bestrafen Sie mich nicht, Damon, nur weil ich in der Vergangenheit irgendwann einmal den Fehler gemacht habe, Sie zu verletzen. Lassen Sie nicht ein unschuldiges Kind dafür büßen, daß ich Ihnen weh getan habe.“
Er sah sie spöttisch an. „Es ist nicht Ihr Ernst, mir Rachegelüste zu unterstellen. Schieben Sie die Schuld nicht
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