Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
ließ, und runzelte nachdenklich die Stirn. „Mir macht der Konflikt Sorgen, der sich zwischen den Kolonien und dem Mutterland aufgebaut hat. Meinst du, daß es zum Krieg kommen wird?“
„Auf keinen Fall. Natürlich gibt es immer und überall ein paar Hitzköpfe, die Zwietracht säen möchten. Doch werden die Vernünftigeren schon die Ruhe bewahren, und bestimmt sind sie in der Überzahl. Versuch an nichts anderes zu denken als an das große Abenteuer, das dich auf der anderen Seite des Ozeans erwartet.“
„Ich werde mir alle Mühe geben“, sagte Royal. Es klang nicht sehr überzeugt. Immer noch schaute sie ihre Tante aufmerksam an. „Warum ist deiner Meinung nach Mr. Routhland so gütig zu mir gewesen?“
„Das frage ich mich auch. Ich weiß es nicht. Erst habe ich angenommen, er würde es meinetwegen tun. Aber jetzt schwanke ich doch sehr.“
„Warst du einmal in ihn verliebt, Tante Arabella?“
Die Schauspielerin schüttelte heftig den Kopf. „Das natürlich nicht, aber er war ganz bezaubernd. Später einmal wirst du mich verstehen. Er war damals viel zu jung für mich. Wenigstens glaubte ich das zu jener Zeit.“
„Und er? Hat er dich wirklich geliebt?“
„Zumindest hat er sich das eingeredet. Ich freilich denke, daß es nicht die große Liebe war, die er für mich empfand.“ Arabellas rotes Haar wehte wie eine Flamme im Wind. Royal war überzeugt, daß es keine schönere Frau als ihre Tante geben mochte.
„Gewiß haben sich sehr viele Männer in dich verliebt, Tante Arabella?“
„Wahrscheinlich. Ja.“
„Ob ich später wohl auch einmal hübsch sein werde?“
Arabella lachte hell auf. „Hübsch? Liebes Kind, wenn du erst einmal eine junge Dame bist, wird sich kaum eine andere mit dir messen können, was Schönheit angeht. Die Männer werden sich deinetwegen im Duell schlagen und zu deinen Füßen sterben.“ Sie lächelte vergnügt. „Genau so, wie sie es meinetwegen tun.“
Royal war keineswegs daran gelegen, jemanden zu ihren Füßen das Zeitliche segnen zu sehen. Sie war in Gedanken mit Damon Routhland beschäftigt. Ob er sie jemals schön finden mochte? Vermutlich würde er allerdings längst verheiratet sein, wenn sie nach Savannah zurückkehrte, und das wäre sehr schade.
„Ist es nicht sonderbar, Tante Arabella“, fuhr Royal fort. „Ich kenne Mr. Routhland erst so kurze Zeit, und doch muß ich immer an ihn denken. Warum ist das so, was meinst du?“
Aufmerksam musterte Arabella ihre Nichte. Tatsächlich zeigte der schmale Körper die ersten fraulichen Rundungen. Die erst so blasse Haut war durchpulst und rosig schimmernd. Royal würde in allernächster Zukunft noch viel über Männer zu lernen haben. Diese Erkenntnis bestürzte Arabella.
„Du bist keine Ausnahme unter den anderen Frauen, wenn es um Damon Routhland geht. Auf Männer wie ihn fliegen die Damen wie die Bienen auf den Honigtopf. Natürlich sollst du ihm immer dankbar sein, Royal, aber hüte dich davor, je dein Herz an ihn zu verlieren.“ Das klang wie eine eindringliche Warnung. „Ich bin fast sicher, daß er außerstande ist, eine Frau wirklich zu lieben. Vermutlich hat er dich jetzt schon vergessen.“
„Nein“, widersprach Royal überzeugt. „Er hat mir versprochen, sich immer an mich zu erinnern, Tante Arabella. Und ich glaube ihm.“
3. KAPITEL
England, im März 1775
Liebster Papa,
die Überfahrt verlief ziemlich ruhig, wir hatten die meiste Zeit glatte See. Aber ich war nicht in der Stimmung, die Schiffsreise zu genießen, obwohl sich Tante Arabella viel Mühe gab, mich dafür zu begeistern. Ich verbrachte die Tage fast immer in meiner Kabine. Die arme Tante! Sie glaubte, ich sei seekrank gewesen. In Wirklichkeit hatte ich schreckliches Heimweh.
Royal schaute aus dem Fenster, während die Kutsche dahinrollte. Unter dem tiefblauen Himmel leuchtete das frische Smaragdgrün der Frühlingslandschaft. Der Anblick war so lieblich, als hätte ein großer Maler ihn mit dem Pinsel eingefangen. Wiesen und Anger waren von zarten Wildblumen in hellen Schattierungen durchsetzt. Hin und wieder wechselten die welligen Hügel mit kleinen Ortschaften. Die Häuser waren mit Stroh gedeckt, die engen Straßen gepflastert.
Wie Mr. Routhland es versprochen hatte, waren die beiden Damen in Plymouth von seinem Londoner Advokaten Mr. Rupert Webber von Bord geholt worden. Unter seinem Schutz verlief die Weiterfahrt reibungslos in seinem eigenen bequemen Reisewagen, der von sechs feurigen Grauschimmeln
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