Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
gerichtet war. „Selbst wenn dies nicht so wäre, Lord Preston, würde ich nicht tanzen. Noch bin ich nicht in die Gesellschaft eingeführt. Außerdem kenne ich hier keinen Gentleman. So hätte ich auch keine Möglichkeit, aufgefordert zu werden.“
„Aber Miss Bradford, wir beide sind einander schon begegnet. Also bin ich Ihnen nicht mehr unbekannt. Oder betrachten Sie mich etwa nicht als Gentleman?“
„O doch“, sagte Royal verwirrt und beeilte sich zu widersprechen. „Das ist es nicht, aber ich hätte nie angenommen, daß Sie mit mir tanzen würden.“
Er lachte leise auf. Gab es das wirklich? Hier stand ihm ein junges Mädchen gegenüber, dem jedes kokette Spiel fremd war. In der offenen und unschuldigen Miene konnte er so leicht lesen, was Royal Bradford dachte. Offensichtlich hatte sie es bisher nicht gelernt, ihre Gefühle unter einer nichtssagenden Maske zu verbergen. Er hätte sich wünschen mögen, daß es dabei bliebe. Erheitert stellte er fest, daß sie ihn ungeniert musterte.
Lord Preston war hochgewachsen. Royal glaubte, er wäre beinahe so groß wie Damon Routhland. Seine Kleidung verriet einen erstklassigen Schneider und saß wie angegossen. Wenn er lächelte, was er sehr häufig tat, bildeten sich Grübchen in seinen Wangen. Das sorgfältig gepuderte Haar war zu einem Zopf gebunden. Nach den hellen Brauen und Wimpern zu schließen, mochte er blond sein. Jedenfalls war er ungewöhnlich hübsch, und Royals Herz begann schneller zu klopfen. Beim Blick in die blitzenden blauen Augen vergaß Royal sogar für kurze Zeit die goldbraunen Damon Routhlands.
„Wenn Sie nicht Trauer tragen würden und bereits in die Gesellschaft eingeführt wären, Miss Bradford, hätte ich Sie gewiß um die Ehre eines Tanzes mit Ihnen gebeten. Aber sobald das Trauerjahr vorüber und Ihr Debüt erfolgt sein wird, werde ich das wohl nicht mehr tun können. Dann liegen Ihnen bestimmt alle Herren bewundernd zu Füßen, und ich kann nicht bis zu Ihnen vordringen.“
Ihr schwindelte, und sie hatte Mühe, ein Wort herauszubringen. „Das wird ganz gewiß nicht so sein. Warum sollte mich jemand bewundern? Ich bin keine Schönheit.“
„Hat Ihnen denn bisher nie jemand gesagt, wie bezaubernd Sie sind, Miss Bradford?“ fragte Lord Preston verblüfft.
„Doch, mein Vater. Er hielt mich für unvergleichlich und einzigartig.“ Sie lächelte schelmisch. „Aber et meinte auch, ich sei klug. Meine Mathematiklehrerin könnte Ihnen bestätigen, daß das überhaupt nicht stimmt.“
Lord Preston schaute diesem entzückenden jungen Mädchen tief in die Augen und konnte sich seinem Zauber nicht entziehen. „Ich frage mich, Miss Bradford, ob Sie mir wohl etwas versprechen könnten.“
Sie nickte ihm zu. „Natürlich, sehr gern, wenn Sie das wünschen.“
„Wenn wir uns das nächstemal auf einer Gesellschaft begegnen – und ich versichere Ihnen, das wird sehr bald sein – denken Sie daran, daß Sie mir einen Tanz versprochen haben.“
„Ich werde es nicht vergessen.“
„Ich auch nicht. Und nun noch eine Bitte.“
Diesmal zögerte Royal keine Sekunde zu sagen: „Ich werde sie erfüllen, Lord Preston.“
„Meine Mutter möchte Sie kennenlernen. Sie brennt darauf, Ihnen zu danken und Sie ihrer großen Hochachtung zu versichern.“
„Ich habe doch schon erklärt, wie wenig ich wirklich …“
„Wollen wir zu ihr gehen?“ Er bot ihr mit einer Verneigung den Arm, und sie legte die Fingerspitzen darauf, stolz und geschmeichelt, an der Seite eines so gutaussehenden und bedeutenden Mannes den Saal zu durchqueren.
„Ich muß Sie noch warnen. Meine Mutter macht oft den Eindruck, als wäre sie überaus zurückhaltend. Lassen Sie sich davon nicht erschrecken. Sobald man sie ein bißchen besser kennt, ist sie eine ganz wunderbare, warmherzige Frau.“
Die tröstenden Worte verfehlten ihre Wirkung, als Royal schon beim Näherkommen den Blick der Dowager Duchess prüfend auf sich gerichtet sah. Lord Preston lächelte ermutigend. „Nur Mut“, flüsterte er ihr zu, als hätte er ihre Befangenheit gespürt. Er stellte Royal Bradford seiner Mutter vor, die sie von Kopf bis Fuß musterte.
Die Dowager Duchess war älter, als Royal erwartet hätte, und stützte sich auf einen Stock mit perlenverziertem Griff. Die Augen waren von kühlem Blau. Das graue Haar konnte den Puder entbehren und war nicht der herrschenden Mode entsprechend frisiert. Ebenso wie die Robe ä la Watteau verrieten die Locken den natürlichen Stil, wie man
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