Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Samtumhang griff.
„Sie sind eine wunderschöne Lady geworden, Miss Bradford“, stellte die Zofe bewundernd fest.
Royal seufzte. „Ich wollte, ich wäre endlich erwachsen, Hannah, oder wenigstens siebzehn wie Lady Alissa.“
Immerhin war Royal sechzehn und hätte lieber heute als morgen Fulham School verlassen, um nach Georgia zurückzukehren. Noch während sie das dachte, mußte sie sich allerdings eingestehen, daß Georgia inzwischen irgendwo in nebelhafte Ferne gerückt war, genauso wie der Krieg, der zwischen der Heimat und England tobte.
Es traf Royal wie ein Faustschlag, als sie erkannte, daß sie längst kein Heimweh mehr hatte. Im Gegenteil. Sie war mit ihrem Leben ganz zufrieden, und manchmal vergingen Wochen, ohne daß sie auch nur an Savannah oder Damon Routhland dachte.
Die Kutsche mit dem Wappen der Chiswicks stand vor dem Portal von Fulham School. Ein livrierter Diener war Royal beim Einsteigen behilflich. Hannah kletterte nach ihr hinein und setzte sich ihrer Herrin gegenüber. Etliche Schülerinnen standen auf den Stufen und winkten lachend, als die Pferde anzogen und der Wagen sich in Bewegung setzte.
Bisher hatte Royal die Schule nur verlassen, um mit den anderen Mädchen zu einem Picknick zu fahren oder einen Ausflug aufs Land zu unternehmen. Heute war es das allererste Mal, daß sie sich auf dem Weg zu einem Schloß, wohin man sie als Gast eingeladen hatte, befand. Der Gedanke, die lange Zeit in der Nähe der Dowager Duchess zu verbringen, hatte immer noch etwas Beunruhigendes, und Royal legte aufgeregt die Hände in den Handschuhen aus feinstem Ziegenleder aneinander. Eine gewisse Befangenheit empfand sie auch jetzt noch bei Alissas Mutter.
Royal erinnerte sich an jenen Tag, da sie Chiswick Castle zum erstenmal aus der Ferne gesehen hatte. Damals hätte sie es sich gewiß nicht träumen lassen, heute als Gast in der Familienkutsche dorthin unterwegs zu sein. Ob Lord Preston bei der Ankunft kommen und sie begrüßen würde? Sie hoffte es. In dem neuen Reisekleid fühlte sie sich sehr wohl. Ob er sie wieder hübsch finden würde? Nachdenklich nahm sie einen Apfel aus dem Korb mit Früchten und biß herzhaft hinein. Dieser Sommer mußte der aufregendste ihres bisherigen Lebens werden.
Die Zeit verrann wie im Flug. Kurz, nach Mittag kam der Wagen auf der breiten Aufgangsrampe des Schlosses zum Stehen. Es schien ihr nun fast doppelt so groß wie damals von weitem und äußerst beeindruckend. Als sie den Fuß auf den Boden setzte, kam Lady Alissa mit einem strahlenden Lächeln des Willkommens die Stufen heruntergeeilt.
„Royal, da bist du endlich. Ich glaubte schon, du würdest überhaupt nicht mehr kommen. Ich habe so viele Pläne, was wir gemeinsam unternehmen wollen, daß wir bestimmt den ganzen Sommer dazu brauchen werden.“ Sie zog die Freundin am Arm mit sich zum Eingangsportal hinauf. Royal atmete gepreßt, als sie sich nun der Dowager Duchess gegenübersah.
„Herzlich Willkommen auf Chiswick Castle, mein liebes Kind. Es ist unser innigster Wunsch, daß Sie hier einen schönen Sommer in unserer Mitte verbringen mögen“, begrüßte die Duchess sie freundlich.
Royal versank in einem tiefen Knicks. „Ich danke Ihnen, Euer Gnaden. Es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie mich eingeladen haben.“
Die verwitwete Duchess umklammerte den Griff ihres Stockes. „Alissa, führe deine Freundin hinein, damit sie deinen Bruder und seine Frau kennenlernt. Danach seid ihr beide frei, zu tun und zu lassen, was euch Spaß macht, und den Tee zu nehmen, wann euch der Sinn danach steht.“
Drinnen in der riesigen kühlen Halle sah sich Royal um. Die Decke war sehr hoch und von dunklen Balken durchzogen. An den Wänden hingen Schilde und Waffen. Rüstungen standen in den Ecken.
Lady Alissa kicherte vergnügt. „Laß dir nicht bange machen. Damit will mein hochedler Bruder bloß Eindruck auf die Besucher machen.“
„Lord Preston?“
„Nicht doch, Schäfchen, ich rede natürlich von meinem älteren Bruder Nathan. Er hat sich die meiste Zeit im Ausland aufgehalten. Seine gräßliche Ehefrau, meine Schwägerin Honora, findet England zu langweilig zum Leben. Ich hoffe sehr, daß sie bald wieder abreisen.“
Royal war verwundert. „Du hast noch nie von dem Duke gesprochen.“
„Ich habe auch wenig Beziehung zu ihm. Er ist schon in den Vierzigern. Mutter hat ihm gleich zu Anfang ihrer Ehe mit meinem Vater das Leben geschenkt und wäre dabei beinahe gestorben.
Deshalb haben meine Eltern
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