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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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diesem Käfig seit jeher. So wie Städter, die sich in ihren steinernen Kloaken ja auch viel wohler zu fühlen schienen als draußen, wo die Luft unverbraucht und wild war.
    Es kümmerte ihn nicht. Womöglich war sie nur ein Klotz am Bein auf seinem Weg nach draußen. Aber er wollte ihr immerhin die Wahl lassen. Freiheit war das wertvollste Gut, das er jemals kennengelernt hatte.
    Er nahm sich die Büste und die Kerze und ging raschen Schrittes die Kellertreppe wieder nach oben.
    Draußen hatte sich etwas verändert. Die Hunde machten unruhige Geräusche, winselten sogar übereifrig. Hatte er sie mit dem Krach, den er im Keller gemacht hatte, aufgeschreckt? Oder fürchteten sie das Mädchen? War sie eine Hexe? Beides kam ihm nicht sehr wahrscheinlich vor. Er beschloss, spähen zu gehen.
    Er blickte sich noch einmal im Erdgeschoss um und prägte sich die Gegebenheiten ein. Dann pustete er die Kerze aus. Dunkelheit umfing ihn wie eine sommerwarme Decke. Schnell und sicher ging er zur Treppe und huschte bis hoch ins zweite Stockwerk. Kurz musste er sich orientieren, wo der Raum war, durch dessen Fenster er geschlüpft war. Diesen mied er und betrat stattdessen den daneben. Ein Raum mit einem Fenster, einem Tisch voller Pergamente und Pergamentrollen in Wandhalterungen. Das Mondlicht blendete ihn beinahe. Er ging zum Fenster, das in einer Art und Weise, auf die nur Städter kommen konnten, durch den Tisch versperrt war, und stieg auf den Tisch. Dann spähte er nach draußen.
    Er hatte sich nicht getäuscht.
    Draußen wimmelten Männer umher. Männer in den Uniformen der städtischen Soldaten, die man hier wohl »Inspizienten« nannte. Der fette Tleck und sein kerbköpfiger Vertrauter waren ebenfalls dort und wiesen die Männer ein, die überall Position bezogen und dabei ihre liebe Mühe hatten, die Hunde an Leinen zu nehmen und zu beruhigen.
    Einige der Inspizienten trugen Armbrüste. Der Dieb verzog das Gesicht. Ein ganz unwillkürlicher Schmerz durchzuckte sein linkes Schulterblatt. Es war noch nicht allzu lange her, dass die Schusswunde endlich vollständig ausgeheilt war.
    Was sollte das? Was für einen Sinn ergab es? Misstraute Tleck ihm, und wollte er ganz sichergehen, an seine Büste zu kommen, indem er ihn erschießen ließ? Aber wie konnte er so sichergehen, dass die Büste dabei nicht zerbrechen würde?
    Der Dieb versuchte, sich in die Mentalität eines städtischen Kaufmanns hineinzudenken. Städter dachten so verschachtelt. Möglicherweise war Tlecks Plan ein ganz anderer. Wenn die Büste einfach nur gestohlen wurde, konnte der Herr dieses Hauses leicht auf den Gedanken kommen, dass Tleck dahintersteckte. Wenn Tleck jedoch einen Dieb zur Strecke brachte, der gerade im Begriff gewesen war, in dieses Haus einzubrechen, vermochte er sich dadurch vielleicht bei dem Hausherrn lieb Kind zu machen, und die Büste als Gegenleistung freiwillig ausgehändigt zu bekommen. Was vielleicht sicherer schien, falls wirklich Magie im Spiel war. Dann aber wiederum war es ein Risiko, die Büste überhaupt mit ins Spiel zu bringen. Sie konnte zu leicht beschädigt werden, wenn sie von ihrem sicheren Platz im Keller entfernt wurde. Vielleicht ging es gar nicht um die Büste. Sie war nur ein Ablenkungsmanöver. Es ging um das Mädchen. Tleck wollte das Mädchen.
    Um das zu überprüfen, knackte der Dieb der Büste den Kopf ab und blickte dann zu Tleck hinaus. Diesem passierte nichts. Weder brach sein Genick, noch rollte sein Kopf auf die Straße. Auch schienen ihn keine unerträglichen Kopf- oder Halsschmerzen niederzuzwingen. Also war es ein Trick. Die Büste nur Ton. Die drei durch die Büsten Dargestellten nicht die Feinde des Hausherrn, sondern seine Freunde. Die vorzüglichsten Freier des Mädchens. Und die Mahnung, dass die Büste auf keinen Fall zerbrechen dürfe, sollte ihn, den gedungenen Dieb, nur schwächen, ihn ablenken, mindestens eine seiner Hände bei dem jetzt bevorstehenden Geschehen außer Gefecht setzen.
    Der raffinierte Fettsack. Kein Hahn würde krähen nach einem namenlosen Unbekannten, den er gerade eben erst kennengelernt und angeheuert hatte.
    Ein unverwechselbarer Geruch ließ ihn herumfahren. Hinter ihm stand das Mädchen im Türrahmen und schaute ihn erwartungsvoll an. Ihre Körperhaltung war krumm, der Käfig hatte sie geformt. Nun war sie ihm in der Finsternis bis hierher gefolgt. Er knurrte. Mit ihrem Gestank würde sie jegliche Flucht erschweren. Weiterhin auf dem Tisch kauernd, blickte er wieder

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