Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
nur kurz, dann vertraute sie sich ihm an und ließ sich von ihm fangen. Ihr Gestank kam ihm in diesem Moment sogar recht lebendig vor.
    Er nahm sie wieder an die Hand. Die Gasse, die hinter der Mauer lag, nach rechts oder links entlangzugehen und auf kreuzende Straßen zu treffen, war ein viel zu großes Risiko. Überall musste es von Inspizienten wimmeln. Der Späher saß immer noch auf der Mauer und spähte ins Nichts. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn von hinten herabzuzerren und ihm den Garaus zu machen, aber wozu? Viel eher juckte es den verhinderten Dieb in den Fingern, dem verlogenen Tleck das Bauchfett aufzuschneiden. Aber dazu musste er sich zuerst durch Dutzende von Uniformen schlitzen, was ihm unnötig aufwendig erschien. Vielleicht würde sich später im Leben eine Gelegenheit ergeben.
    Er hob das Mädchen abermals hoch, und so überkletterten sie eine Bretterwand, die auf einen Hof führte. Sie brachten Abstand zwischen sich und das Anwesen, indem sie im rechten Winkel zur dahinterliegenden Gasse quer über mehrere Höfe kletterten und eilten. Als sie dabei an einem Stall vorüberkamen, hielt er inne, schleuderte das Mädchen ins Stroh und riss ihr das Kleid, das so mühselig anzuziehen gewesen war, wieder über den Kopf. Sie wehrte sich nicht, gebärdete sich vielmehr wie eine rasend Leidenschaftliche und fiel mindestens ebenso heftig über ihn her wie er über sie. Ihm schien es, dass sie begierig darauf war, ihm eine als unerträglich empfundene Schuld zu begleichen, und diese Haltung konnte er durchaus respektieren. Etwas an ihrem Geruch machte ihn noch unersättlicher als sonst, deshalb musste er sich gleich zweimal an ihr erschöpfen, aber nachdem das getan war, fühlte er sich eigenartig. Ihm war ein wenig schwindelig. Vielleicht war sie doch eine Hexe. Er musste sich an einem Querbalken festhalten, um nicht ins Straucheln zu geraten.
    Auf den nächtlichen Straßen war alles still. Tleck und seine Inspizienten warteten noch immer. Der Tote war noch nicht entdeckt. Jeder blieb dumm und stur auf seinem Posten und wartete auf Befehle, bis der ganze Schlamassel aufflog. Wie Städter nun einmal waren.
    Er ging durch die Straßen zu dem Stall, in dem er seine Fuchsstute untergestellt hatte. Das Fischmaulmädchen folgte ihm, ohne Grimassen nun. Sie wirkte düster und ernst, mit der Nacht wie verwoben.
    Er hatte nichts, um den Stallburschen zu bezahlen, aber dieser war eher froh, den riesigen Fremden wohlbehalten loszuwerden. Das Mädchen trat an das Pferd heran und berührte es scheu. Das Pferd tänzelte unruhig, es war ihr Geruch oder etwas anderes.
    Der Dieb, der nichts gestohlen hatte, rang mit sich. Wenn ihr furchtbarer Mund nicht gewesen wäre, hätte er sie wirklich schön gefunden und gerne mitgenommen, um sich noch weiterhin mit ihr zu vergnügen. Man konnte sie waschen. Man konnte ihr diesen Geruch auch lassen.
    Aber etwas stimmte nicht mit ihr. Sie brachte Unglück. Sie war Unglück.
    Er nahm sich einen seiner beiden Ohrringe ab, beugte sich zu ihr hinunter und drückte ihr das im Licht der Stalllaterne golden schimmernde Schmuckstück in die schmutzige Hand. Sie schaute zu ihm auf, nahm den Ring in den Mund und schluckte ihn.
    Er lächelte, obwohl ihn das zusätzlich schwächte.
    Dann gab er dem Pferd die Fersen und sprengte aus der Stadt.

NieDeRReiSSeN
     
    »Schnappt ihn euch, Jungs!«
    Der Ruf gellte durch die Schlucht, brach sich mehrmals. Sein Kopf ruckte herum, der Säbel beschrieb eine helle Linie aus dem Gürtel. Die Fuchsstute stieg auf die Hinterhand.
    Sie waren zu acht. Und hatten Lanzen. Aus sämtlichen Richtungen brachen sie aus dem Unterholz, und im Nu fand er sich im Mittelpunkt eines stahlgespitzten Schaftgetümmels wieder.
    An diesem Tag war der Himmel grau, und Krähen kreisten düster und übellaunig im Nieselregen.
    Er sprang vom Pferd. Das war ein Instinkt von ihm: das Pferd schützen, damit er es hinterher noch hatte. Diese Kerle wollten das Pferd bestimmt nicht abstechen, dazu war ein Gaul zu viel wert. Sie wollten ihn vielleicht als Sklaven verschleppen oder seinen Säbel erbeuten. Seinen Ohrring. Er hätte ihn ihnen ohne Weiteres gegeben, wenn sie ihn darum gebeten hätten, aber da sie auf ihn eindrangen, musste er ihnen ihr eigenes Blut zu trinken geben. Sie wollten es so.
    Er durchhieb eine Lanze knapp hinter der Spitze, ergriff den gekappten Schaft, zog den Lanzenführenden mit einem Ruck zu sich heran und spaltete ihm mit einem weit geführten Säbelhieb den halb

Weitere Kostenlose Bücher