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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nicht gelungen, ihn länger am Leben zu erhalten«, entschuldigte sich der Bedienstete mit hoher, hohler Stimme bei dem Barbaren. »Er litt am Schweißfieber und dann am Schlagfluss. Was er am Schluss alles anordnete, haben wir schon gar nicht mehr weitergeleitet. Rädern! , krächzte er immer wieder. Alle, alles rädern! Seine Stimme klang dabei, als wäre er schon längst tot, als verzehrten die Nachzerrer der Hölle bereits sein Herz. Dabei war er früher ein sehr gütiger Mann gewesen. Er herrschte in Frieden über den Wald. Die Grünmenschen kamen zu uns und brachten uns freudig die Gaben der Wiesen und Bäume. Lange, lange ist das schon her. Es ist nicht gut für einen Menschen noch für eine Welt, wenn allzu lange Krankheiten wüten. Aber das muss ja nicht das Ende sein, nicht wahr? Das hat er doch immer gepredigt: dass der Tod nur der Anfang ist. Ein Übergang in etwas Wunderbares. Deshalb war vielleicht auch das Rädern, alle, alles rädern! als ein Akt der Gnade zu verstehen und nicht der Grausamkeit. Dachte ich mir zumindest immer. Und er kann zurückkehren, nicht wahr? Wenn der Tod nicht das Ende ist? Deshalb gebe ich mein Bestes, ihn ansehnlich zu halten. Damit er, wenn er zurückkehrt, keinen Schrecken verbreitet, sondern Wiedersehensfreude. Wie er sich das gewünscht hat, als er noch gesund und freundlich zu uns war.« Der Bedienstete betrachtete den Barbaren, als erwartete er etwas von ihm. Ein Nicken, eine Bestätigung, ein Gutheißen. Doch dieser ging nur an den Leichnam heran und berührte das sonnenfarben glimmende Gewand. Es fühlte sich gut an, war jedoch unpraktisch. Gleichzeitig steif und klingendurchlässig. Seine linke Hand schmerzte von dem Stich der wehrhaften Dame. Er zog sie zurück.
    Seine Neugier war befriedigt. So also sahen Heilige aus.
    »Ihr macht auf mich den Eindruck von jemandem, der schon ein wenig herumgekommen ist«, sprach der Bedienstete ihn abermals an. »Also sagt, könnt Ihr Euch vorstellen, dass er wiederaufsteht? Alles wäre leichter, wenn er wiederaufstünde und uns sagen würde, was wir zu tun haben. Meint Ihr nicht, dass das geschehen kann? Wenn einer im Leben gute Taten vollbracht hat?«
    Der Barbar ging zum Fenster. Unten wurde noch immer verbissen gerungen. Der Hauptmann stieß sein schönes Schwert in den Leib eines hässlichen Nackten und rupfte es wieder heraus. Ein anderer wankte jammernd umher, während sein Schädel, von einer Axt gespalten, eine Handbreit auseinanderklaffte. Man konnte die seltsame, gleichzeitig feste und feuchte Masse sehen, die den Kopf eines Menschen füllte und schwer machte, denn Totenschädel wogen wenig.
    »Warum sagt Ihr nichts?«, beharrte der Bedienstete. »Haltet Ihr es für unvorstellbar? Leben wir denn nicht in einer Welt voller Wunder? Ich selbst habe schon Wunder gesehen. Ich habe einen Geräderten lachen gehört, hier, unten, auf dem Burghof. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Habt Ihr dergleichen schon erlebt?«
    Der Barbar beachtete ihn nicht weiter und ging aus dem Saal durch die Doppelflügeltür, durch die er gekommen war. Der Bedienstete rief ihm noch hinterher: »Vielleicht seid Ihr auch noch zu jung, um schon viel gesehen zu haben und verstehen zu können!«, aber er war schon den ersten Treppenabsatz hinunter. Ganz nach unten. Mit Schritten, die mehrere Stufen auf einmal nahmen. Ein wiederkehrendes Rummsen erfüllte den Treppenturm. Die Wilden rannten mit einem ihrer Baumstämme gegen das Tor an, das die Gebäude verschloss. Im Passieren konnte der Barbar die Frauen weinen und wehklagen hören. Wahrscheinlich öffneten sie sich gerade mit ihren sehr kleinen Klingen gegenseitig die Pulsadern.
    Das Rummsen klang nicht wütend, eher beharrlich. Die Männer aus den Wäldern wussten, dass sie gewinnen würden. War der Kampf auf dem Hof etwa schon vorüber?
    Als der Barbar das Tor erreichte, wölbte es sich bereits unter den Rammangriffen nach innen.
    Krachen.
    Die unverständliche Entsprechung eines »Zuuu-gleich«.
    Krachen.
    »Zuu-gleich«.
    Krachen.
    Direkt nach einem Krachen wuchtete der Barbar den schweren Torriegel aus der Halterung und wich behände bis auf die Treppe zurück.
    Beim nächsten Ansturm sprengten die Waldmenschen das Tor und taumelten überrascht von ihrem eigenen Schwung mit ihrem Baumstamm in den Raum dahinter. Der Barbar sprang von oben herab mit seinem Säbel zwischen die Torkelnden und erschlug vier von ihnen, bevor die anderen überhaupt begreifen konnten, was sich geändert hatte. Die

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