Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
möglichst kein Geräusch zu machen. Sich einem Feind von unten zu nähern war immer eine Position der Schwäche. Falls ihn die Bande bemerkte, konnte sie ihn mit Geröll totwerfen, ohne dass er überhaupt die Möglichkeit erhielt, in einen Nahkampf überzugehen.
Oberhalb der Schräge verharrte er und spähte. Er war ein geduckter Schatten zwischen Rissen und Kerben. Keine Bewegung zeigte sich im Bereich der Brücke. Kein Rauch. Kein Atemdampf. Keine Stimmen. Kein Gelächter. Kein Klackern von Trinkhörnern oder von Würfeln. Nichts. Lebte das Dorf in einer Furcht, die schon längst nicht mehr begründet war?
Er beschloss, seine Route zu ändern. Statt von hier aus zur Brücke hinaufzusteigen, wollte er hier weiter hinauf, höher als die Brücke, dort auskundschaften und sich der Brücke dann von oben annähern.
Er untersuchte die Felswand, las sie. Er wäre niemals in der Lage gewesen, ein Schriftstück zu entziffern, aber Gestein offenbarte ihm seine Geheimnisse, seine verborgenen Schwächen und Reizbarkeiten. Er zog sich nun auch die Socken aus und machte sich auf. Die Wand hing ein wenig über, und unter ihm ging es nun schon achtzig Schritt senkrecht hinab. Mit nackten Zehen und Fingern jedoch war es kein Problem. Wenn es keinen Halt für die Zehen gab, zog er sich eben nur an seinen Fingern weiter. Seine Arme erlaubten ihm sogar, sich mit dem Gesicht ganz nahe heranzuziehen an den Halt, um ihn abzuwägen, bevor er hineingriff.
Unter dem Überhang konnte er von der Brücke aus nicht mehr gesehen werden, was gut war. Als er einmal nach unten schaute, sah er die Dörfler, die sich versammelt hatten, um ihm nachzugaffen, und die sogar mit den Fingern auf ihn zeigten, um den neben ihnen Stehenden das Außergewöhnliche seines Aufstieges zu verdeutlichen. Wenn der Berggott wirklich alles sah, dann sah er jetzt, wie die Unterjochten ihm vor Augen führten, dass sich ihm jemand näherte.
Der Überhang endete an einer Kante, über die der Barbar emporklomm. Darüber konnte er ein paar Schritt weit gehen, dann schüttelte er seine Arme aus, den Blicken der Dörfler immerhin entzogen, und weiter ging es lotrecht hinauf. Bald würde er in das Sichtfeld der Dörfler geraten, dann würden sie ihn wieder in Gefahr bringen mit ihrem kindischen Eifer.
Er grunzte, als ein Stein sich unter seiner Hand löste und in die Tiefe polterte. Anstatt zu verharren, verdoppelte er seine Geschwindigkeit, um nicht mehr dort zu sein, wo das Geräusch ertönt war, falls jemand nach dem Rechten sehen kam.
Nichts rührte sich.
Aber dafür stieg ihm etwas in die Nase: der Duft von gebratenem Fleisch. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er war auf dem richtigen Weg.
Der Geruch war noch sehr fern. Er konnte auch von jenseits der Steinbrücke herüberwehen. Aber er war unverkennbar. Irgendwo briet etwas. Und da kein Rauch sichtbar war, mussten die Männer des Gottes wohl in einer Höhle Unterschlupf gefunden haben.
Er arbeitete sich weiter aufwärts. Beinahe schnitt er sich die Handfläche auf an einem besonders spitz abgebrochenen Stein, aber nur beinahe. Einmal musste er in gutem Halt, in die Felsen geklemmt wie ein Frosch, lange den weiteren Aufstieg überdenken. Es brachte nichts, wenn man fünf Schritt hoch gut vorankam und dann umkehren musste, weil es dort nicht weiterging. Er musste bis zur nächsten Plattform einen gangbaren Weg sehen. Und das war nicht immer einfach.
Nach mehreren Zwischenaufenthalten mitten in der Wand kam er oben an, wo ein paar Krüppelkiefern sich noch in die Felsen krallten. Er zog sich an ihnen empor, kauerte sich zum Spähen hinter die Stämme und sah den Gott.
Der Gott stand mitten auf der Brücke und war nun höchstens noch dreißig Schritt oberhalb und dreihundert Schritt in Querrichtung von ihm entfernt. Ob der Gott Ausschau hielt nach dem Verursacher des Geräusches vorhin, war für ihn nicht zu erkennen. Der Gott trug einen Helm, der sein Gesicht und seine genaue Blickrichtung verbarg. Der Helm sah aus wie aus grauem Stein oder Schiefer gefertigt, mit fünf Widderhörnern zur Zierde und dem augenglühenden Antlitz eines Dämons. Der Oberkörper des Gottes war nackt wie der des Barbaren, lediglich breite Lederbänder zierten ihn. Die Unterarme wie auch die Beine waren mit Metall beschlagen und mit den Fellen verschiedener Tiere verkleidet. Er trug eine Axt, die kupferfarben schimmerte und geradezu unglaubwürdig groß und unhandlich war. Sie schien aus zwei, ja sogar drei separaten Klingen zu
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