Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
bestehen, die irgendwie ineinandergefügt waren. Ummantelt wurde der gesamte Umriss des Gottes von einem sich im Wind bauschenden Lederumhang.
Der Gott war gigantisch. Er war mindestens einen, wenn nicht sogar zwei Köpfe größer als der Barbar, der seinerseits ja schon die meisten Menschen ein Stück weit überragte. Aber die Größe des Gottes löste in den Mundwinkeln des Barbaren ein geringschätziges Zucken aus. Einer, der so klobig war, so schwer mit Metall umwickelt und eine so unhandliche Waffe führte, konnte kein ernsthafter Gegner für ihn sein. Das Aussehen des Gottes eignete sich sicherlich hervorragend dafür, hasenherzige Dorfbewohner in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber als Kämpfer brauchte man so einen schwerfälligen Aufschneider kaum ernst zu nehmen.
Er sei denn, er war ein wirklicher Gott mit den tatsächlichen Fähigkeiten eines Gottes.
Aber weshalb sollte ein wirklicher Gott sich damit zufriedengeben, die armseligen Bewohner eines erbärmlichen Bergdorfes zu knechten? Das alles klang eher nach einer Rotte von Räubern, die sich einen großartigen Plan hatten einfallen lassen, um sich möglichst mühelos von anderer Hände Arbeit durchfüttern zu lassen.
Er schnaubte verächtlich und erhob sich. Die Gelegenheit war günstig. Der Gott war allein, seine Bande mit Fressen oder Abbraten beschäftigt. Wenn der Gott den Hochmut eines Dorfbeherrschers bereits gebührend verinnerlicht hatte, würde er sich von einer einzigen Gestalt nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Der Barbar zog sich das langärmelige Oberteil der Dorfbewohner über, um schlabberiger und weniger abgehärtet zu wirken. Außerdem schlüpfte er nun doch wieder in Socken und Stiefel.
Dann sprang er zwischen den Krüppelkiefern hindurch und eilte den Grat entlang in Richtung der Brücke, ohne sich noch Mühe zu geben, keine Geräusche zu machen. Kiesel rieselten unter seinen Absätzen abwärts. Der Barbar tollte regelrecht heran. Beinahe unbekümmert sah das aus.
Der Gott bemerkte ihn und wandte ihm das Helmgesicht zu. Es sah aus wie ein mundloses, knöchernes Ungeheuer mit gelben, tückischen Augen und drei messerscharfen Kinnspitzen. Weder Helm noch Körperhaltung ließen irgendwelche Gemütsregungen erkennen. Der Gott beobachtete einfach.
Als der Grat nicht mehr weiterführte, stieg der Barbar wieder in die Wand. Im ersten Abschnitt überwand er zwanzig Schritt, was mit den Stiefeln deutlich schwieriger war als ohne, aber dank seiner kräftigen Arme dennoch möglich. Darüber war wieder ein Grat, auf dem er dem Gott weiter entgegenlaufen konnte. Für dieses Laufen waren die Stiefel tatsächlich praktisch, barfuß wäre er nie so über das scharfkantige Geröll gerannt, sondern hätte seine Schritte viel umsichtiger setzen müssen. Der zweite Wandabschnitt umfasste noch einmal fünfzehn Schritt. Wenige Schritt oberhalb der Brücke und des Gottes kam er nun auf einer Art umlaufendem Pfad heraus, der direkt zur Brücke hinunterführte. Jetzt rannte er nicht mehr, sondern schlenderte auf den Gott zu, wie ein harmloser Wandersmann in gangbaren Bergen. Das Oberteil störte ihn, kratzte ihn am Rücken. Das war unangenehmer, als geschlagen zu werden, aber er versuchte es zu ignorieren. Linker Hand ging es in kaum merklichen Abstufungen über zweihundertundfünfzig Schritt in die Tiefe. Das Dorf war nur noch ein grauer Haufen mit unbewegt in ihm starrenden Punkten. Der Wind war hier oben schon erstaunlich kühl und ruppig. Der lederne Umhang des Gottes flatterte wie eine Standarte. Unter dem Himmel hingen Wolkenfetzen, die wie zerrissener Nebel aussahen. Wie Spinnweben über der Sonne. Geistergespinste.
Der Gott stellte sich dem Barbaren entgegen. Er löste die wie kupfern wirkende Axt von ihrem Gehenk und nahm mitten auf der natürlichen Bogenbrücke eine drohende Haltung ein. Die Arme erhoben, sogar leicht nach hinten überdehnt, breitbeinig, wuchtig, unverrückbar. Ein stummes, trotziges »Hier kommt niemand vorbei«. War er ebenso schweigsam wie der Barbar? Begegneten sich hier zwei, die nur über ihre Klingen miteinander sprechen konnten?
Der Barbar verfiel in leichten Trab hangabwärts und zog ebenfalls sein Schwert. Es glitt aus keiner Scheide. Es sprang nackt in nackte Faust. Die Hände und Unterarme des Gottes dagegen schienen aus Metall zu bestehen. Womöglich waren es aber auch Schlangenledersegmente, wie der Barbar jetzt beim Näherkommen erkennen konnte.
Der Barbar erreichte die Brücke. Sie war nicht stabil,
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