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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Kapuzen waren zurückgeschlagen, sodass der Barbar aristokratische Gesichter und komplizierte Frisuren erkennen konnte. Die meisten waren schon alt, jenseits der sechzig.
    Einer von ihnen erhob sich nun und kam mit gütigem Lächeln auf die Neuankömmlinge zu. Es war der Oligarch höchstpersönlich.
    Mehr als der Gastgeber interessierte den Barbaren jedoch der Mittelbereich zwischen den Tischen. Kinder standen dort herum. Fünf an der Zahl. Der Barbar schätzte sie auf zwischen sechs und zwölf Jahre alt. Sie waren nackt, wirkten jedoch keineswegs eingeschüchtert und misshandelt. Alle fünf waren wohlgenährt, und ihre Gesichter glühten vor Vorfreude und Stolz.
    Nicht weit von den Kindern entfernt blubberte ein eigenartiges Becken, gefüllt mit Öl oder einer anderen fettig siedenden Flüssigkeit. Schwitzende Diener unterhielten mehrere Feuer unter diesem Becken. Der ganze Raum wurde von dieser Hitze bestrahlt wie von einem blasenwerfenden Kamin.
    Der Barbar schaute sich suchend um. Die Kuttenträger hatten hellen Wein in Karaffen und Gläsern stehen, aber nirgends war etwas zu essen aufgetischt. Der peinigende Soßenduft schien allein von dem Becken auszugehen. Gab es keine verborgene Küche, der solche Düfte entströmen konnten? Sein Magen rumorte beinahe vor Hunger.
    Der Gastgeber hatte sie nun erreicht. Sein Haar war grau, halblang und wellig. Er roch nach Parfüm wie eine Frau, obwohl sein Gesicht eher grob wirkte, mit wulstigen Lippen und einer höckerigen Nase. Die Fliederkutte verlieh ihm zusätzlich weibliche Eigenschaften. Dem Buckligen, der um die von ihm herbeigeschafften Gäste herumstrich wie ein rolliger Kater, tätschelte er lobend den verwachsenen Rücken. »Ich freue mich sehr, euch vier heute Abend zu meinen Gästen zählen zu können«, sagte der Oligarch mit kaum merklichem Lispeln. »Wie ihr seht, gibt es einen illustren Kreis von Eingeweihten, so manche hochgestellte und beliebte Persönlichkeit des Landes gehört dazu.« Der Barbar kannte niemanden der Fliederfarbenen. »Aber es ist mir auch immer ein ganz besonderes Anliegen, Neuankömmlinge für meinen erlesenen Jahreskreis zu werben. Wer weiß – vielleicht werdet ihr nach den Exklusivitäten, die ich euch heute zu kredenzen beabsichtige, meine Gesellschaften nicht mehr missen wollen?« Er berührte die Kartenlegerin, die von den vieren das mürrischste Gesicht machte, sanft am Kinn, wie um ihr den Kopf aufzurichten, ihr »Nur Mut!« zuzusprechen. »Wisst ihr denn schon, was euch erwartet?«, fragte er in die Runde, wie ein Puppenspieler vor Kindern das auch getan hätte. Der Magistrat nickte, rieb sich die Hände und kicherte mit heraushängender Zunge. Der Oligarch berührte auch ihn, strich ihm über den Kopf wie einem gelehrigen Sohn, obwohl der Magistrat deutlich älter war als der Oligarch. Dann fasste der Oligarch das Instrument des Barden ins Auge und zwinkerte vergnügt. Der Barde straffte sich und seufzte wertgeschätzt. Dann erst befasste sich der Gastgeber so richtig mit dem Barbaren. Und er tat etwas Unerwartetes: Er wandte sich sofort wieder von ihm ab und klatschte in die Hände. Augenblicklich verstummte die Musik, und die miteinander plaudernden Kuttenträger merkten auf.
    »Entschuldigt, meine Lieben, dass ich euch bei eurem sicherlich äußerst anregenden Gedankenaustausch unterbrechen muss, aber ich möchte eure Aufmerksamkeit nun doch auf ein besonderes Detail lenken. Dieser tapfere junge Mann hier« – und er deutete auf den Barbaren wie auf einen zum Verkauf stehenden und anzupreisenden Gegenstand – »dient unserem Land in der Wildnis der Wälder! Unter Einsatz seines Lebens schützt er unsere Grenzen und sorgt dafür, dass wir in Sicherheit leben können. Und er ist kein gemeiner Soldat, oh nein! Am Federschmuck seines Helmes könnt ihr erkennen, dass er den Rang eines Kommandanten bekleidet. Ich kannte den einen oder anderen Kommandanten zu meiner Zeit. Ihr wisst, dass einer von ihnen sogar ein hochgeschätztes Mitglied unserer Gemeinschaft war. Aber der Krieg, der schreckliche, schreckliche Krieg fordert seine Opfer. Und es gibt nicht mehr viele Kommandanten. Umso bemerkenswerter, dass heute einer hier erschienen ist, um mit uns zu feiern und zu schmausen. Und ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihm stellvertretend für seine mutigen Männer, die selbstlos ihr Blut vergießen, damit wir in Frieden feiern und ausruhen können, zu danken und ihn in unseren Reihen ganz ausdrücklich willkommen zu heißen.« Er

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