Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Barcelós kaiserliche Wanne. Dunkelheit sickerte perlfarben durchs Fenster herein, das auf den Innenhof des Hauses führte, so daß die Konturen des Raums und die aufeinander abgestimmten glasierten Fliesen von Boden und Wänden gerade eben angedeutet wurden. Das Wasser strömte fast siedendheiß und mit einem Druck heraus, der mir, verglichen mit unserem bescheidenen Bad in der Calle Santa Ana, äußerst luxuriös vorkam. Mehrere Minuten blieb ich reglos unter dem dampfenden Strahl der Dusche stehen.
Der Widerhall der Schläge, die auf Fermín landeten, hämmerte mir weiter in den Ohren. Ich brachte Fumeros Worte nicht aus dem Kopf und auch nicht das Gesicht des Polizisten, der mich festgehalten hatte, wahrscheinlich, um mich zu beschützen. Kurz darauf spürte ich, daß das Wasser kühler wurde, der Vorrat im Boiler schien zu Ende zu gehen. Ich kostete den letzten lauwarmen Tropfen aus und drehte den Hahn zu. Durch Dunst und Duschvorhang hindurch erkannte ich eine reglose Gestalt. Ihr leerer Blick leuchtete wie der einer Katze.
»Du kannst ohne Angst herauskommen, Daniel. Trotz all meiner Bosheiten kann ich dich noch immer nicht sehen.«
»Hallo, Clara.«
Sie reichte mir ein Badetuch. Verschämt hüllte ich mich ein; sogar im dunstigen Halbdunkel konnte ich Clara lächeln sehen, da sie meine Bewegungen erriet.
»Ich habe dich nicht hereinkommen hören.«
»Ich habe auch nicht angeklopft. Warum duschst du denn im Dunkeln?«
»Woher weißt du, daß das Licht nicht brennt?«
»Kein Summen von der Glühbirne. Du bist dich nie verabschieden gekommen.«
Doch, ich bin gekommen, dachte ich, aber du warst zu beschäftigt. Ich behielt die Worte für mich – Groll und Bitterkeit lagen schon weit zurück und waren auf einmal lächerlich.
»Ich weiß. Entschuldige.«
Ich stieg aus der Wanne und trat auf den Plüschteppich. Die Aureole des Dampfes glühte in silbernen Fäserchen, die schwache Helligkeit des Oberlichts war ein weißer Schleier auf Claras Gesicht. Sie sah kein bißchen anders aus als ihr Bild in meiner Erinnerung. Die vier Jahre, in denen ich sie nicht gesehen hatte, hatten mir fast nichts genützt.
»Deine Stimme hat sich verändert«, sagte sie. »Hast auch du dich verändert, Daniel?«
»Ich bin noch genauso dumm wie früher, wenn es das ist, was du wissen möchtest.«
Und dazu feiger, fügte ich für mich hinzu. Sie hatte noch immer dasselbe gebrochene Lächeln, das sogar im Halbdunkeln schmerzte. Sie streckte mir die Hand entgegen, und wie vor acht Jahren in der Bibliothek des Athenäums begriff ich sogleich. Ich führte ihre Finger an mein feuchtes Gesicht und spürte, wie sie mich wiederentdeckten, während Claras Lippen stille Worte zeichneten.
»Ich wollte dir nie weh tun, Daniel. Verzeih mir.«
Ich ergriff ihre Hand und küßte sie.
»Verzeihe du mir.«
Jeder Ansatz zum Melodrama zersplitterte, als die Bernarda, sichtlich betrunken, zur Tür hereinschaute und mich nackt erblickte, Claras Hand an den Lippen und ohne Licht.
»Um Gottes willen, Señorito Daniel, was für eine Schamlosigkeit. Jesus, Maria und Josef. Manche Leute werden nie durch Schaden klug.«
Erschrocken trat sie den Rückzug an, und ich baute darauf, daß die Erinnerung an das Gesehene wie ein Traum aus ihrem Geist verschwände, sobald die Wirkung des Brandys nachließe. Clara trat ein paar Schritte zurück und reichte mir die Kleider, die sie unter den linken Arm geklemmt hatte.
»Mein Onkel hat mir diesen Anzug für dich gegeben. Er hat ihn als junger Mann getragen und sagt, du seist mächtig gewachsen, er werde dir jetzt passen. Ich lasse dich allein, damit du dich anziehen kannst. Ich hätte nicht hereinkommen sollen, ohne anzuklopfen.«
Ich nahm die Kleider entgegen und schlüpfte in die lauwarme, parfümierte Unterwäsche, das rosa Baumwollhemd, die Strümpfe, die Weste, die Hose und das Jackett. Der Spiegel zeigte einen Hausierer, dem nur das Lächeln fehlte. Als ich in die Küche zurückging, war Dr. Soldevila eben einen Augenblick aus dem Zimmer gekommen, wo er Fermín behandelte, um die Anwesenden über dessen Zustand zu informieren.
»Für den Moment ist das Schlimmste vorüber«, sagte er.
»Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Solche Dinge wirken immer ernster, als sie wirklich sind. Ihr Freund hat sich den linken Arm und zwei Rippen gebrochen, er hat drei Zähne verloren und hat viele Quetschungen, Schnitte und Prellungen, aber zum Glück gibt es keine innere Blutung oder Symptome einer Gehirnverletzung. Die
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