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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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trat er strahlend zur Tür herein.
    »Was machen Sie denn hier, Sie Unglücklicher? Sollten Sie nicht das Bett hüten?«
»Das hütet sich von allein. Ich bin ein Mann der Tat.
Und wenn ich nicht hier bin, verkaufen Sie beide keinen müden Katechismus.«
Sein Gesicht war gelblich und von blauen Flecken übersät, er hinkte stark und bewegte sich insgesamt wie eine defekte Gliederpuppe.
»Sie legen sich sogleich wieder ins Bett, Fermín, um Himmels willen«, sagte mein Vater erschrocken.
»Davon kann keine Rede sein. Die Statistiken beweisen, daß im Bett mehr Leute sterben als im Schützengraben.« Fermíns Blick zeigte, daß ihm zwar die Knochen bis in die Seele hinein weh taten, daß ihn aber die Aussicht, allein in seinem Pensionszimmer zu liegen, noch viel mehr schmerzte.
    »Also gut, aber wenn ich Sie etwas heben sehe, was kein Bleistift ist, können Sie was erleben.«
    »Zu Befehl. Sie haben mein Wort, daß ich heute nichts hebe außer der Moral.«
Und kurzerhand schlüpfte er in seinen blauen Kittel und richtete sich mit einem Lappen und einer Flasche Alkohol hinter dem Ladentisch ein, um Einbanddeckel und Rücken der fünfzehn an diesem Vormittag eingetroffenen antiquarischen Exemplare eines gesuchten Titels auf Hochglanz zu bringen, Der Dreispitz: Geschichte der Guardia, civil in Alexandrinern von Fulgencio Capón, einem blutjungen, von der Kritik des ganzen Landes hochgelobten Autor. Ab und zu warf er flüchtige Blicke auf mich und blinzelte mir zu.
»Ihre Ohren sind ja rot wie Pfefferschoten, Daniel.«
»Wahrscheinlich vom Anhören Ihres Geschwätzes.«
»Oder von der Geilheit, die Sie beherrscht. Wann treffen Sie denn die junge Dame?«
»Scheren Sie sich zum Teufel.«
    Es dämmerte bereits, als ich am Fuß der Avenida del Tibidabo aus dem U-Bahnhof trat. Zwischen blassen Nebelschwaden sah ich die Blaue Straßenbahn davonfahren. Ich beschloß, nicht zu warten, bis sie zurückkam, und marschierte los. Nach kurzer Zeit erkannte ich die Nebelburg. Ich zog den Schlüssel, den mir Bea gegeben hatte, aus der Tasche und schloß das ins Gittertor eingefügte Türchen auf, hinterließ es aber so, daß Bea ohne Schwierigkeiten hereinkonnte. Ich war absichtlich zu früh. Ich wußte, daß sie erst in einer halben oder einer dreiviertel Stunde einträfe. Ich wollte das Haus allein spüren und auskundschaften, bevor Bea es sich zu eigen machte. So blieb ich einen Augenblick stehen, um den Brunnen und die aus dem Wasser ragende Hand des Engels zu betrachten. Der anklagende Zeigefinger stach dolchartig hervor. Ich näherte mich dem Rand des Bassins. Das blick- und seelenlose Gesicht zitterte unter der Oberfläche.
    Ich stieg die Eingangstreppe hinauf. Die große Tür stand einige Zentimeter offen. Ich fühlte einen beunruhigenden Stich, denn ich glaubte sie neulich abends beim Gehen geschlossen zu haben. Ich untersuchte das Schloß, das offensichtlich nicht aufgebrochen worden war, und vermutete, ich hätte sie doch zu schließen vergessen. Sacht stieß ich die Tür auf und spürte, wie mir der Hauch des Hauses übers Gesicht strich, ein Dunst nach verbranntem Holz, Feuchtigkeit und verwelkten Blumen. Ich zog die Streichholzschachtel aus der Tasche, die ich vor dem Verlassen der Buchhandlung eingesteckt hatte, und kniete nieder, um die erste der von Bea zurückgelassenen Kerzen anzuzünden. Eine gelbliche Blase entzündete sich unter meinen Händen und enthüllte die tanzenden Umrisse von feuchten Mauern, eingefallenen Decken und aus den Fugen gegangenen Türen.
    Dann ging ich zur nächsten Kerze und zündete sie an. Langsam, wie in einem Ritual folgte Kerze um Kerze, so daß ein bernsteinfarbener Lichtschein in der Dunkelheit schwebte. Mein Weg endete neben dem Kamin der Bibliothek bei den Decken, die aschenbefleckt noch auf dem Boden lagen. Dort setzte ich mich hin, den großen Raum im Auge. Ich hatte Stille erwartet, doch das Haus offenbarte unzählige Geräusche. Knackendes Holz, der Wind in den Dachziegeln, tausendfaches Wispern zwischen den Mauern, unter dem Fußboden, sich hinter den Wänden bewegend.
    Nach einer knappen halben Stunde merkte ich, daß mich das Halbdunkel einzuschläfern drohte. Ich stand auf und begann im Raum auf und ab zu gehen, damit mir warm würde. Im Kamin lagen nur noch die Reste eines Scheits, und ich machte mich auf die Suche nach etwas Brennbarem, um den Raum mit den beiden Decken wohnlicher zu gestalten, die jetzt vor dem Kamin zitterten, als hätten sie nichts mit den warmen

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