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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Wand schleuderte. Bea schrie auf und barg ihren Kopf an mir. Einen Moment lang konnte ich nur die aus dem Korridor fließende blaue Dunkelheit und den spiralförmig aufsteigenden Rauch der erloschenen Kerzen sehen.
    Ich spähte in den Korridor hinaus, in der Befürchtung – vielleicht auch im Wunsch –, daß da nur ein Fremder wäre, ein Vagabund, der sich in ein halbzerfallenes Haus hineingewagt hatte, um in unfreundlicher Nacht eine Zuflucht zu haben. Doch da war niemand, und ich sah bloß den bläulichen Schein der Fenster. Bea kauerte in einem Winkel des Bades und flüsterte zitternd meinen Namen.
»Da ist niemand«, sagte ich. »Vielleicht war’s nur ein Windstoß.«
»Der Wind hämmert nicht mit der Faust an Türen, Daniel. Laß uns gehen.«
Ich hob unsere Kleider auf.
»Da, zieh dich an. Wir wollen mal einen Blick riskieren.«
»Wir gehen besser gleich.«
»Sofort. Ich möchte nur eines herausfinden.«
Schnell zogen wir uns im Dunkeln an. Ich nahm eine der Kerzen vom Boden auf und zündete sie wieder an. Ein kalter Luftzug wehte durchs Haus, als hätte jemand Türen und Fenster geöffnet.
»Siehst du? Es ist der Wind.«
Bea schüttelte nur den Kopf. Die Flamme mit der Hand schirmend, gingen wir in den großen Saal zurück. Bea blieb dicht hinter mir, fast ohne zu atmen.
»Was suchen wir denn, Daniel?«
»Es dauert bloß eine Minute.«
»Nein, laß uns endlich gehen.«
»Also gut.«
Wir kehrten zum Eingang zurück, da sah ich es. Die Holztür am Ende eines Gangs, die ich eine oder zwei Stunden zuvor vergeblich zu öffnen versucht hatte, war angelehnt.
    »Was ist?« fragte Bea.
»Warte hier auf mich.«
»Daniel, bitte …«
Mit der Kerze, die im kalten Windzug flackerte, ging ich in den Korridor hinein. Bea seufzte und folgte mir widerwillig. Vor der Tür blieb ich stehen. Man konnte marmorne Stufen erahnen, die in die Schwärze hinunterführten. Ich trat auf die Treppe. Bea blieb mit der Kerze auf der Schwelle stehen.
    »Bitte, Daniel, laß uns endlich gehen …«
    Stufe um Stufe stieg ich die Treppe hinunter. Der geisterhafte Schein der Kerze in der Höhe ließ den Umriß eines rechteckigen Raums mit ungetünchten Steinwänden voller Kruzifixe erkennen. Die klamme Kälte in diesem Raum verschlug einem den Atem. Vor mir zeichnete sich eine Marmorplatte ab, und darauf sah ich nebeneinander zwei gleiche, aber verschieden große weiße Gegenstände, in denen sich die flackernde Kerzenflamme stärker als sonst im Raum reflektierte. Nach einem weiteren Schritt begriff ich: Es handelte sich um zwei weiße Särge. Der eine war kaum drei Spannen breit. Die Nackenhaare sträubten sich mir. Es war ein Kindersarg, und ich befand mich in einer Krypta.
    Ich trat so nahe an die Marmorplatte heran, daß ich den Arm ausstrecken und sie berühren konnte. Nun sah ich, daß auf beiden Särgen ein Name und ein Kreuz eingraviert waren. Eine dicke Staubschicht lag darüber. Ich legte die Hand auf den größeren und wischte ganz langsam, fast in Trance, den Staub vom Sargdeckel. Im Kerzenschimmer konnte ich knapp entziffern:
    PENÉLOPE ALDAYA 1902-1919 Ich war wie gelähmt. In der Dunkelheit kam etwas oder jemand näher. Ich spürte die kalte Luft über meine Haut streichen, und erst jetzt wich ich ein paar Schritte zurück.
    »Raus hier«, murmelte die Stimme aus dem Dunkel. Ich erkannte sie sogleich. Laín Coubert. Die Stimme des Teufels.
    Ich stürzte die Treppe hinauf, und sowie ich wieder im Erdgeschoß war, packte ich Bea am Arm und zog sie hastig Richtung Ausgang. Wir hatten die Kerze verloren und rannten blind. Ich dachte, jeden Augenblick könnte etwas aus dem Schatten springen und uns den Weg versperren, doch am Ende des Gangs erwartete uns die Eingangstür, deren Ritzen ein Rechteck aus Licht zeichneten.
    »Sie ist zu«, flüsterte Bea.
    Ich tastete meine Taschen nach dem Schlüssel ab. Für einen Sekundenbruchteil schaute ich zurück und war sicher, daß zwei glänzende Punkte hinten im Gang langsam auf uns zukamen. Augen. Meine Finger fanden den Schlüssel. Verzweifelt steckte ich ihn ins Schlüsselloch, öffnete und stieß Bea heftig hinaus. Da sie merkte, wie erschrocken ich war, eilte sie durch den Garten aufs Gattertor zu und blieb erst stehen, als wir atemlos und mit kaltem Schweiß bedeckt auf dem Gehsteig der Avenida del Tibidabo standen.
    »Was war da unten los, Daniel? War da jemand?« »Nein.«
»Du bist bleich.«
»Ich bin immer bleich. Komm, gehen wir.«
»Und der Schlüssel?«
Den hatte ich im Schloß

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