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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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steckenlassen. Mir war nicht danach, ihn jetzt zu holen.
»Ich glaube, ich habe ihn beim Hinausgehen verloren. Wir werden ihn ein andermal suchen.«
    Wir eilten die Straße hinunter, wechselten die Seite und verlangsamten unsere Schritte erst, als wir gut hundert Meter von dem alten Haus entfernt waren und seine Umrisse in der Nacht aus den Augen verloren. Da sah ich, daß meine Hand noch immer voller Staub war, und dankte es der nächtlichen Dunkelheit, daß sie die Tränen, die mir über die Wangen kullerten, vor Bea versteckte.
    Wir gingen die Calle Balmes hinunter bis zur Plaza Núñez de Arce, wo wir ein einsames Taxi fanden. Darin fuhren wir fast wortlos bis zur Calle Consejo de Ciento. Bea nahm meine Hand, und ein paar Mal sah ich, wie sie mich mit starrem, undurchdringlichem Blick musterte. Ich beugte mich über sie, um sie zu küssen, doch sie öffnete die Lippen nicht.
    »Wann werde ich dich wiedersehen?«
»Ich ruf dich morgen oder übermorgen an«, sagte sie. »Versprochen?«
Sie nickte.
»Du kannst mich zu Hause oder im Laden anrufen, es ist dieselbe Nummer. Du hast sie doch, nicht wahr?«
    Sie nickte abermals. Ich bat den Fahrer, an der Ecke Muntaner/Diputación einen Augenblick anzuhalten, und erbot mich, Bea zu ihrer Haustür zu begleiten, doch sie schlug es aus und ging davon, ohne daß ich sie noch einmal küssen oder auch nur ihre Hand berühren konnte. Sie begann zu laufen, und ich schaute ihr aus dem Taxi nach. In der Aguilar-Wohnung brannte Licht, und ich konnte deutlich sehen, wie mich Tomás vom Fenster seines Zimmers aus beobachtete, in dem wir so manchen Nachmittag verplaudert oder Schach gespielt hatten. Mit einem gezwungenen Lächeln, das er wahrscheinlich nicht sehen konnte, winkte ich ihm zu. Er erwiderte den Gruß nicht. Seine Gestalt blieb reglos, dicht an der Scheibe, und betrachtete mich frostig. Ein paar Sekunden später zog er sich zurück, und die Fenster wurden dunkel. Er hatte wohl auf uns gewartet.
21
    Als ich nach Hause kam, standen die Reste eines Abendessens für zwei Personen auf dem Tisch. Mein Vater hatte sich schon zurückgezogen, und ich fragte mich, ob er sich am Ende dazu durchgerungen hatte, die Merceditas zum Essen einzuladen. Ohne das Licht anzumachen, trat ich in mein Zimmer. Als ich mich auf die Bettkante setzte, bemerkte ich, daß noch jemand im Raum war beziehungsweise mit auf der Brust gefalteten Händen totengleich im Halbdunkeln auf dem Bett lag. Wie einen Peitschenhieb spürte ich die Kälte im Magen, aber dann erkannte ich rasch das Schnarchen und das Profil einer unvergleichlichen Nase. Ich knipste die Nachttischlampe an und sah Fermín Romero de Torres, der auf der Bettdecke ein behagliches Seufzen von sich gab. Ich räusperte mich, und er öffnete die Augen. Als er mich erblickte, schien er sich zu wundern. Offensichtlich erwartete er eine andere Gesellschaft. Er rieb sich die Augen und schaute sich um, als wollte er sich über die Umstände nähere Klarheit verschaffen.
    »Hoffentlich habe ich Sie nicht erschreckt. Die Bernarda sagt, im Schlaf sehe ich aus wie ein spanischer Boris Karloff.«
    »Was machen Sie denn in meinem Bett, Fermín?« Er schloß halb die Augen.
»Von Carole Lombard träumen. Wir waren in Tanger in einem türkischen Bad, und ich habe sie vollkommen mit Öl eingerieben, mit diesem Öl, das man für Babypos braucht. Haben Sie je eine Frau mit Öl eingeschmiert, von oben bis unten – bewußt?«
»Fermín, es ist halb eins, und ich bin zum Umfallen müde.«
»Entschuldigen Sie, Daniel. Ihr Herr Vater hat mich halt eingeladen, zum Abendessen raufzukommen, und dann bin ich so schläfrig geworden, weil Rindfleisch auf mich regelrecht narkotisierend wirkt. Ihr Vater hat mir vorgeschlagen, mich eine Weile hier hinzulegen, und gesagt, es würde Ihnen nichts ausmachen …«
    »Es macht mir auch nichts aus, ich war nur sehr überrascht. Bleiben Sie hier im Bett, und kehren Sie zu Carole Lombard zurück, bestimmt erwartet sie Sie. Und schlüpfen Sie richtig unter die Decke, es ist ein Hundewetter, sonst lesen Sie noch was auf. Ich gehe ins Eßzimmer.«
    Fermín nickte gefügig. Die Quetschungen in seinem Gesicht entzündeten sich immer mehr, und sein Kopf sah mit dem Zweitagebart und dem schütteren Haar aus wie eine Kokosnuß. Ich nahm eine Decke aus der Kommode und gab auch Fermín eine. Dann knipste ich das Licht aus und ging ins Eßzimmer, wo meines Vaters Lieblingssessel auf mich wartete. Ich hüllte mich in die Decke ein und kuschelte

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