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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Halunken versucht, ihr die Handtasche zu entreißen, glaubte er ihr. Als sie ihm sagte, sie wolle seine Frau werden, glaubte er ihr. Am Tag der Hochzeit schickte jemand irrtümlich einen großen Totenkranz in die Kirche. Angesichts der Verwirrung des Floristen lachten alle nervös. Alle außer Sophie, die genau wußte, daß sich Don Ricardo Aldaya an ihrem Hochzeitstag noch immer an sie erinnerte.
4
    Sophie Carax hatte nie gedacht, daß sie Don Ricardo nach Jahren wiedersehen würde (nun ein reifer Mann, Vorsteher des Familienimperiums und Vater von zwei Kindern) und daß er zurückkäme, um den Sohn kennenzulernen, den er für fünfhundert Peseten hatte verschwinden lassen wollen.
    In Jorge, seinem Erstgeborenen, vermochte er nicht sich selbst zu sehen. Der Junge war schwach, zurückhaltend und entbehrte der geistigen Präsenz des Vaters. Es fehlte ihm an allem, außer am Namen. Eines Tages war Don Ricardo im Bett eines Dienstmädchens mit dem Gefühl erwacht, sein Körper werde alt, Venus habe ihm ihre Gnade entzogen. Von Panik befallen, eilte er zum Spiegel, und als er sich nackt darin betrachtete, hatte er den Eindruck, belogen zu werden. Das war doch nicht er.
    Da wollte er den Mann wiederfinden, den man ihm genommen hatte. Seit Jahren wußte er um den Sohn des Hutmachers. Auch Sophie hatte er auf seine Weise nicht vergessen. Als der Moment gekommen war, beschloß er, den Jungen kennenzulernen. Zum ersten Mal in fünfzehn Jahren traf er auf jemanden, der ihn nicht fürchtete, sondern ihn herauszufordern, ja sich über ihn lustig zu machen wagte. Er erkannte in ihm die Männlichkeit, den stillen Ehrgeiz, den die Narren nicht sehen, der aber im Innern brennt. Sophie, ein fernes Echo der Frau, an die er sich erinnerte, hatte nicht einmal mehr die Kraft einzuschreiten. Der Hutmacher war bloß ein Hanswurst, ein boshafter, nachtragender Tölpel, dessen Komplizenschaft ihm als gegeben galt. Er wollte Julián aus dieser unerträglich mittelmäßigen, ärmlichen Welt herausnehmen, um ihm die Tore zu seinem Finanzparadies zu öffnen. Er sollte in der San-Gabriel-Schule unterrichtet werden, sämtliche Privilegien seiner Klasse genießen und in die Wege eingeweiht werden, die er, sein Vater, für ihn ausgesucht hatte. Don Ricardo wollte einen würdigen Nachfolger. Jorge würde immer im Schatten seiner Vorrechte leben, verhätschelt und zum Scheitern verurteilt. Penélope, die reizende Penélope, war eine Frau und als solche ein Schatz, keine Schatzmeisterin. Julián, der eine unergründliche und also eine mörderische Fantasie hatte, vereinigte in sich die nötigen Eigenschaften. Es war nur eine Frage der Zeit. Don Ricardo rechnete sich aus, daß er sich innerhalb von zehn Jahren in dem Jungen selbst herausgemeißelt hätte. Niemals in der ganzen Zeit, die Julián bei den Aldayas verbrachte, und zwar als einer ihresgleichen, ja als der Auserwählte, fiel ihm ein, der Junge könnte gar nichts von ihm wollen – außer Penélope. Nicht einen Augenblick kam er auf den Gedanken, daß ihn Julián insgeheim verachtete und daß diese ganze Farce für ihn nichts weiter als ein Vorwand war, um in Penélopes Nähe zu sein, um sie mit Haut und Haaren zu besitzen. Darin glichen sie sich tatsächlich.
    Als ihm seine Frau berichtete, sie habe Julián und Penélope in einer eindeutigen Situation gesehen, ging für ihn die Welt in Flammen auf. Der Schrecken und der Verrat, die unsägliche Wut, in seinem eigenen Spiel an der Nase herumgeführt und von dem betrogen worden zu sein, den er aufs Podest zu heben gelernt hatte wie sich selbst – das alles stürmte so mächtig auf ihn ein, daß niemand seine Reaktion verstehen konnte. Als der Arzt, der Penélope untersuchen kam, bestätigte, daß sie entjungfert worden war, spürte Don Ricardo Aldaya nur noch blinden Haß. Der Tag, an dem er Penélope im Zimmer des dritten Stocks einzuschließen befahl, war auch der Tag, an dem sein Niedergang einsetzte. Alles, was er von da an tat, war nur noch Ausdruck der Selbstzerstörung.
    Gemeinsam mit dem Hutmacher, den er so verachtet hatte, beschloß er, Julián von der Bildfläche verschwinden zu lassen und in die Armee zu schicken, wo man seinen Tod als Unfall auszugeben hatte. Niemand, weder Ärzte noch Hausangestellte, noch Familienmitglieder außer ihm und seiner Frau, durfte Penélope besuchen in all den Monaten, in denen sie in diesem Zimmer eingesperrt war. Inzwischen hatten ihm seine Teilhaber hinter seinem Rücken die Unterstützung entzogen

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