Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Flecken gesprenkelt.
In dieser Zeit hörte ich auf der Straße immer wieder Geschichten über einen Menschen, der nachts die Schaufensterscheiben der Buchhandlungen einschlug und Bücher verbrannte. Andere Male schlich sich der merkwürdige Vandale in eine Bibliothek oder in die Schatzkammer eines Sammlers. Immer nahm er zwei, drei Bücher mit und verbrannte sie. Einmal suchte ich ein Antiquariat auf und erkundigte mich, ob auf dem Markt irgendein Buch von Julián Carax zu finden sei. Der Verkäufer sagte, das sei unmöglich, jemand habe sie alle verschwinden lassen. Er habe selbst zwei besessen und sie einem seltsamen Mann mit vermummtem Gesicht verkauft, dessen Stimme kaum zu verstehen gewesen sei.
»Bis vor kurzem gab es noch einige Exemplare in Privatsammlungen, bei uns und auch in Frankreich«, sagte er, »aber viele Sammler stoßen sie inzwischen ab. Sie haben Angst, und ich kann es ihnen nicht verdenken.«
Manchmal verschwand Julián tagelang und dann bald für Wochen. Er ging und kam immer nachts, und immer brachte er Geld mit. Nie gab er eine Erklärung ab, und wenn er es einmal tat, erzählte er unsinnige Details. Er sagte, er sei in Frankreich gewesen, in Paris, Lyon, Nizza. Gelegentlich kamen Briefe aus Frankreich auf den Namen Laín Coubert, stets von Antiquaren, Sammlern. Jemand hatte ein verloren geglaubtes Exemplar eines von Julián Carax’ Werken ausfindig gemacht. Dann verschwand er mehrere Tage und kam zurück wie ein Wolf, stank nach Rauch und Rache.
Während einer seiner Abwesenheiten traf ich im Kreuzgang der Kathedrale auf den Hutmacher Fortuny. Er erinnerte sich noch an mich von dem Besuch her, den ich ihm vor zwei Jahren mit Miquel abgestattet hatte, um ihn nach Julián zu fragen. Er führte mich in einen Winkel und sagte mir vertraulich, er wisse, daß Julián am Leben sei, irgendwo, aber vermutlich sei es ihm aus einem bestimmten Grund, den er nicht erahnen könne, unmöglich, sich mit uns in Verbindung zu setzen. »Das muß irgendwas mit diesem Schuft von Fumero zu tun haben.« Ich sagte ihm, ich dächte genauso. Die Kriegsjahre erwiesen sich als sehr ergiebig für Fumero. Seine Allianzen wechselten von Monat zu Monat, von den Anarchisten zu den Kommunisten und von diesen zu dem, was sich gerade anbot. Die einen wie die andern bezeichneten ihn als Spion, Häscher, Helden, Mörder, Verschwörer, Intriganten, Retter oder Demiurgen. Spielte keine Rolle. Fürchten taten ihn alle. Alle wollten ihn auf ihrer Seite haben. Vielleicht zu sehr beschäftigt mit den Intrigen im Kriegsbarcelona, schien er Julián vergessen zu haben. Möglicherweise vermutete er, wie der Hutmacher, er sei geflohen und längst nicht mehr in seiner Reichweite.
Señor Fortuny fragte mich, ob ich eine alte Freundin seines Sohnes sei, was ich bejahte. Er bat mich, von Julián zu erzählen, von dem Mann, zu dem er geworden war, er selbst kenne ihn nicht, wie er mir traurig gestand. »Das Leben hat uns auseinandergerissen, müssen Sie wissen.« Er hatte in sämtlichen Buchhandlungen Barcelonas nach Juliáns Romanen gesucht, hatte sie aber nicht finden können. Jemand hatte ihm erzählt, ein Verrückter klappere die Landkarte nach ihnen ab, um sie zu verbrennen. Fortuny war überzeugt, der Schuldige könne niemand anders als Fumero sein. Ich widersprach ihm nicht und log das Blaue vom Himmel herunter, aus Mitleid oder aus Verbitterung, ich weiß es nicht. Ich sagte, meiner Meinung nach sei Julián nach Paris zurückgegangen, es gehe ihm gut und ich sei überzeugt, er achte den Hutmacher sehr und werde zu ihm zurückkommen, sobald die Umstände es erlaubten. »Es ist dieser Krieg«, klagte er, »der alles kaputtmacht.« Bevor wir uns auf Wiedersehen sagten, wollte er mir unbedingt noch einmal seine Adresse und auch die seiner ehemaligen Frau Sophie geben, mit der er nach langen Jahren der »Mißverständnisse« den Kontakt wiederaufgenommen hatte. Sie lebe jetzt in Bogotá mit einem angesehenen Arzt zusammen, leite ihre eigene Musikschule und erkundige sich in ihren Briefen immer nach Julián.
»Das ist noch das einzige, was uns verbindet, wissen Sie. Die Erinnerung. Man macht in seinem Leben viele Fehler, Señorita, und merkt es erst, wenn man alt ist. Sagen Sie, sind Sie gläubig?«
Ich verabschiedete mich von ihm mit dem Versprechen, ihn und Sophie zu informieren, wenn ich etwas von Julián höre.
»Nichts würde seine Mutter glücklicher machen, als wieder von ihm zu hören. Frauen achten mehr aufs Herz und weniger
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