Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Pharaonin verkleidet und singen geht? Was ist denn schon dabei? Die Menschen sind einfach böse.«
Don Anacleto schwieg und schaute zu Boden.
»Böse nicht«, entgegnete Fermín. »Schwachsinnig, was nicht dasselbe ist. Das Böse setzt moralische Entschlossenheit voraus. Der Schwachkopf dagegen hält sich nicht mit Nachdenken auf, sondern handelt instinktiv. Was die Welt braucht, sind mehr wirklich böse Menschen und weniger beschränkte Holzköpfe.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn. Was es braucht, ist ein wenig mehr christliche Nächstenliebe und weniger Fiesheit, das ist ja ein Land von Schurken«, sagte die Merceditas. »Immer schön zur Messe gehen – aber von unserem Herrn Jesus Christus nimmt hier nicht mal Gott Notiz.«
»Na, streitet euch nicht«, unterbrach mein Vater die beiden.
»Und Sie, Fermín, gehen Sie jetzt zu Don Federico und schauen Sie nach, ob er was braucht, aus der Apotheke oder vom Markt.«
»Jawohl, Señor Sempere. Auf der Stelle. Sie wissen ja, mich bringt mein Mundwerk noch unter den Boden.«
»Was Sie zugrunde richtet, ist Ihre Schamlosigkeit und Respektlosigkeit«, sagte die Merceditas. »Gotteslästerer. Man sollte Ihnen die Seele mit Salmiak putzen.«
»Schauen Sie, Merceditas, ich weiß ja, daß Sie ein guter Mensch sind, und im Augenblick gibt’s im Viertel einen sozialen Notfall, wo man Prioritäten setzen muß, aber sonst würd ich Ihnen zwei, drei Kardinalpunkte erläutern.«
»Fermín!« rief mein Vater.
Fermín schloß den Schnabel und huschte zur Tür hinaus. Mißbilligend schaute ihm die Merceditas nach.
»Dieser Mensch wird Sie eines Tages noch ganz schön in Schwierigkeiten bringen, denken Sie an mich. Der ist mindestens Anarchist, Freimaurer oder sogar Jude. Mit diesem Zinken im Gesicht …«
Wir sahen sie kerzengerade und mit klopfenden Absätzen davongehen. Mein Vater holte tief Luft, als wollte er den wiedergewonnenen Frieden einatmen. Neben ihm stand mit herbstlich traurigem Blick Don Anacleto, dessen Gesicht immer weißer geworden war.
»Dieses Land ist in die Binsen gegangen«, sagte er erstaunlich unrhetorisch.
»Na los, Kopf hoch, Don Anacleto. Sie werden schon sehen, wie Don Federico wieder auf die Füße kommt, der ist robuster, als wir alle glauben.«
Der Lehrer schüttelte den Kopf.
»Das ist wie die Gezeiten, wissen Sie«, sagte er. »Die Barbarei, meine ich. Sie zieht ab, und man hält sich für gerettet, aber sie kommt immer wieder zurück, sie kommt immer wieder zurück.«
Wir nickten artig. Er verabschiedete sich und ging bedrückt davon. Mein Vater und ich schauten uns kurz an und wußten nicht, was sagen. Ich fragte mich, ob ich ihm von Inspektor Fumeros Besuch in der Buchhandlung berichten sollte. Das ist eine Warnung gewesen, dachte ich, Fumero hat den armen Don Federico als abschreckendes Beispiel benutzt.
»Ist was, Daniel? Du bist ja ganz weiß.«
Ich seufzte und erzählte ihm dann den Zwischenfall mit Inspektor Fumero von neulich abends, seine Anspielungen. Beim Zuhören schluckte mein Vater die Wut hinunter.
»Es ist meine Schuld«, sagte ich. »Ich hätte etwas sagen sollen …«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, du hast es nicht wissen können, Daniel.« »Aber …«
»Das darfst du nicht einmal denken. Und kein Wort davon zu Fermín. Weiß Gott, wie er reagieren würde, wenn er erführe, daß dieser Kerl wieder hinter ihm her ist.«
»Aber irgend etwas werden wir unternehmen müssen.«
»Schauen, daß er sich möglichst in keine Schwierigkeiten bringt.«
Ich nickte, nicht sehr überzeugt, und schickte mich an, die von Fermín begonnene Arbeit weiterzuführen, während mein Vater zu seinem Luther-Katalog zurückkehrte. Ab und zu warf er mir einen schrägen Blick zu. Ich tat, als bemerkte ich es nicht.
»Wie war’s denn gestern mit Professor Velázquez? Alles gutgegangen?« fragte er, um endlich das Thema zu wechseln.
»Ja. Er hat sich über die Bücher gefreut. Er hat gesagt, er sucht ein Buch mit Franco-Briefen.«
»Die Jugendbriefe aus Ceuta. Was hast du ihm denn gesagt?«
»Daß wir schon dran sind und ihm in höchstens zwei Wochen Bescheid geben.«
»Sehr gut. Wir werden Fermín darauf hetzen und es uns von Velázquez vergolden lassen.«
Wir arbeiteten weiter, als wäre es reine Routine. Mein Vater schaute mich noch immer an. Gleich kommt’s, dachte ich.
»Gestern ist ein sehr sympathisches junges Mädchen hiergewesen. Fermín sagt, es ist die Schwester von Tomás Aguilar?«
»Ja.«
Mein Vater wog den Zufall mit einem Na-da-schau-herGesicht
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