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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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verstrichen einige Minuten; wir schauten die grauen Gestalten an, die durchs Schaufenster hereinspähten, und beteten, eine von ihnen möge eintreten und uns aus diesem vergifteten Schweigen erlösen. Nach einer Weile stellte Tomás die Tasse auf den Ladentisch und wandte sich zur Tür.
»Willst du schon gehen?«
Er nickte.
»Sehen wir uns morgen?« fragte ich. »Wir könnten ins Kino gehen, mit Fermín, wie früher.«
Er blieb bei der Tür stehen.
»Ich sag’s dir nur einmal, Daniel. Tu meiner Schwester nicht weh.«
Als er hinausging, kam ihm Fermín mit einer Tüte ofenfrischen Gebäcks entgegen. Kopfschüttelnd schaute Fermín zu, wie er sich in der Nacht verlor. Er stellte die Tüte auf den Ladentisch und bot mir eine noch warme Marzipanschnecke an. Ich lehnte ab. Ich hätte nicht einmal ein Aspirin hinuntergebracht.
»Das wird schon vorbeigehen, Daniel. Sie werden sehen. Unter Freunden sind solche Dinge normal.«
»Ich weiß nicht«, murmelte ich.
10
    Am Sonntagmorgen um halb acht war ich mit Fermín im Café Canaletas verabredet, wo er mich zu Milchkaffee und Brioches einlud, deren Struktur, selbst mit Butter bestrichen, eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Bimsstein aufwies. Der Kellner, der uns bediente, trug ein Falangeabzeichen auf dem Revers und hatte einen bleistiftschmalen Schnurrbart. Er trällerte unaufhörlich vor sich hin, und als wir ihn nach dem Grund für seine wunderbare Laune fragten, erklärte er, er sei am Vortag Vater geworden. Wir beglückwünschten ihn, und da drängte er jedem von uns eine Faria-Zigarre auf, damit wir sie später am Tag aufs Wohl seines Erstgeborenen rauchten. Das sagten wir ihm zu. Fermín schaute ihn verstohlen und mit gerunzelter Stirn an, und ich vermutete, er hecke etwas aus.
    Beim Frühstück erklärte er mit einer allgemeinen Skizze des Rätsels das detektivische Tagewerk für eröffnet.
»Das Ganze beginnt mit der arglosen Freundschaft zwischen zwei Jungen, Julián Carax und Jorge Aldaya, Klassenkameraden von Kindesbeinen an, so wie Don Tomás und Sie. Jahrelang geht alles gut. Unzertrennliche Freunde, die das ganze Leben vor sich haben. Aber in irgendeinem Augenblick gibt es einen Streit, der diese Freundschaft auseinanderbrechen läßt. Um die Salondramatiker zu paraphrasieren: Der Streit hat den Namen einer Frau und heißt Penélope. Sehr homerisch. Können Sie mir folgen?«
Das einzige, was mir in den Sinn kam, waren Tomás Aguilars letzte Worte am Abend zuvor in der Buchhandlung: »Tu meiner Schwester nicht weh.« Mir war übel.
»1919 bricht Julián Carax wie ein Westentaschenodysseus gen Paris auf«, fuhr Fermín fort. »Der von Penélope unterschriebene Brief, den er nie bekommt, beweist, daß die junge Frau zu diesem Zeitpunkt bei sich zu Hause eingeschlossen ist, aus wenig klaren Gründen Gefangene ihrer Familie, und daß die Freundschaft zwischen Aldaya und Carax zu Ende ist. Ja, wie uns Penélope erzählt, hat ihr Bruder Jorge geschworen, seinen ehemaligen Freund Julián umzubringen, wenn er ihn noch einmal sieht. Starke Worte für das Ende einer Freundschaft. Man braucht nicht Sherlock Holmes zu sein, um daraus zu schließen, daß der Streit eine direkte Folge der Beziehung zwischen Penélope und Carax ist.«
Kalter Schweiß bedeckte mir die Stirn. Ich spürte, wie mir der Milchkaffee und die paar Bissen, die ich zu mir genommen hatte, den Hals heraufkrochen.
»Trotzdem müssen wir annehmen, daß Carax nie erfährt, was mit Penélope geschehen ist, denn der Brief gelangt nicht in seine Hände. Sein Leben verliert sich in den Nebeln von Paris, wo er ein geisterhaftes Dasein entfalten wird zwischen seiner Anstellung als Pianist in einem Animierlokal und einer erbärmlichen Karriere als erfolgloser Romancier. Diese Pariser Jahre sind ein Geheimnis. Alles, was von ihnen bleibt, ist ein vergessenes, womöglich verschwundenes literarisches Œuvre. Wir wissen, daß er irgendwann beschließt, eine rätselhafte vermögende Dame zu heiraten, die doppelt so alt ist wie er. Diese Ehe, wenn wir uns an die Zeugnisse halten, scheint eher ein Akt der Nächstenliebe oder der Freundschaft von Seiten einer kranken Dame zu sein als ein romantisches Abenteuer. Besorgt um die wirtschaftliche Zukunft ihres Protegés, beschließt die Mäzenin offensichtlich, ihm ihr Vermögen zu vermachen und sich von dieser Welt mit einem Koitus ad maiorem gloriam der Künste zu verabschieden. So sind die Pariser.«
»Vielleicht war es echte Liebe«, sagte ich mit hauchdünner

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