Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
melancholisch.
»Du hast eine sehr hübsche Freundin.«
Navas, der vor der Tür postierte Beamte, spürte, wie ihm der kalte Schweiß die Kleider nässte. Er überhörte die Schreie im Inneren, und als ihm die Kollegen vom Fabriktor her einen heimlichen Blick zuwarfen, schüttelte er den Kopf.
Niemand sagte ein Wort. Fumero hatte eine halbe Stunde im Wärterhaus verbracht, als endlich die Tür in Navas’ Rücken aufging. Navas trat zur Seite und vermied es, offen auf die feuchten Flecken auf Fumeros schwarzen Kleidern zu schauen. Langsam ging der Inspektor auf den Ausgang zu, und nachdem Navas einen kurzen Blick ins Innere geworfen hatte, schloss er unter aufsteigendem Brechreiz die Tür. Auf ein Zeichen Fumeros hin besprengten zwei seiner Leute die Hauswände und das ganze Umfeld mit Benzin aus zwei Kanistern und steckten alles in Brand.
Als sie zum Auto zurückkehrten, saß Fumero bereits auf dem Beifahrersitz. Wortlos fuhren sie los, während aus den Ruinen der alten Fabrik eine Rauch- und Flammensäule aufstieg, die im Wind eine Aschenspur hinterließ. Fumero kurbelte das Fenster herunter und streckte die offene Hand in die feuchtkalte Luft hinaus. Seine Finger waren blutbesudelt. Starr nach vorn schauend, saß Navas am Steuer, aber seine Augen sahen nur den flehenden Blick, den ihm die junge Frau, noch lebend, zugeworfen hatte, bevor er die Tür geschlossen hatte. Er bemerkte, dass Fumero ihn beobachtete, und presste die Hände ums Lenkrad, um sein Zittern zu vertuschen.
Auf dem Gehsteig schaute eine Gruppe zerlumpter Kinder dem vorbeifahrenden Auto zu. Ein kleiner Junge formte die Finger zur Pistole und drückte im Spiel auf sie ab. Lächelnd antwortete Fumero mit der gleichen Bewegung, bevor sich das Auto in dem Straßenknäuel um den Dschungel von Fabrikschloten und -hallen verlor, als wäre es nie da gewesen.
2
Sieben Tage lag Fermín delirierend in der Baracke. Kein feuchtes Tuch vermochte sein Fieber zu senken, keine Salbe das Übel zu lindern, das ihn, wie sie sagten, innerlich zerfraß. Die alten Frauen des Viertels, die sich bei seiner Pflege oft ablösten und ihm lebenserhaltende Tonika verabreichten, sagten, in dem Fremden hause ein Teufel, der Teufel der Gewissensbisse, und seine Seele wolle zum Ende des Tunnels fliehen und sich in der leeren Schwärze ausruhen.
Am siebten Tag kam der Mann, den alle Armando nannten und dessen Autorität an diesem Ort bis auf wenige Zentimeter an die Gottes heranreichte, zur Baracke und setzte sich ans Krankenbett. Er untersuchte Fermíns Wunden, hob seine Augenlider und las die auf die geweiteten Pupillen geschriebenen Geheimnisse. Hinter ihm hatten sich die alten Frauen, die ihn pflegten, in einem Halbkreis versammelt und warteten in respektvollem Schweigen. Nach einer Weile nickte Armando vor sich hin und verließ die Baracke. Zwei junge Männer, die vor der Tür gewartet hatten, folgten ihm zu dem Schaumstreifen am Strand, wo sich die Flut brach, und hörten sich aufmerksam seine Anweisungen an. Armando sah sie abziehen und blieb dort sitzen, auf dem Skelett einer vom Unwetter ausgeschlachteten Barkasse, gestrandet zwischen Strand und Fegefeuer.
Er zündete sich eine Zigarette an und genoss sie in der Morgenbrise. Während er rauchte und darüber meditierte, was er zu tun hatte, zog er einen Ausschnitt aus der Vanguardia aus der Tasche, den er seit Tagen bei sich hatte. Zwischen Korsettwerbung und Notizen über die Theaterszene auf dem Paralelo fand sich dort eine knappe Meldung, in der über die Flucht eines Insassen des Montjuïc-Gefängnisses berichtet wurde. Der Text hatte den sterilen Ton der Geschichten, die wortwörtlich das offizielle Kommuniqué wiedergeben. Als einzige Freiheit hatte sich der Redakteur einen Nachtrag zugestanden, in dem gesagt wurde, nie zuvor habe es jemand geschafft, aus dieser uneinnehmbaren Festung zu fliehen.
Armando schaute auf und betrachtete den Montjuïc-Hügel, der sich im Süden erhob. Das Kastell, eine Skizze von im Dunst ausgesägten Türmen, schwebte über Barcelona. Armando lächelte bitter, steckte mit der Glut seiner Zigarette den Ausschnitt in Brand und sah, wie er in der Brise zu Asche wurde. Wie immer umgingen die Zeitungen die Wahrheit, als setzten sie damit ihr Leben aufs Spiel, vielleicht mit gutem Grund. Alles an dieser Meldung stank nach Halbwahrheiten und ausgesparten Einzelheiten. Darunter der Umstand, dass es bislang niemandem gelungen sei, aus dem Gefängnis des Montjuïc zu fliehen. Obwohl es in
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