Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
eher der Rost, der ihm eine Blutvergiftung bescheren würde. Er tat gut daran, die junge Elfe schnell von seinen friedlichen Absichten zu überzeugen.
»Tief in Eurem Inneren wisst ihr doch längst, dass ich die Wahrheit spreche. Ist es nicht so?«, fragte er und sah sie herausfordernd an. Er musterte ihr schwarzes Haar, das wie ein im Mondlicht glänzender Wasserfall über ihre Schultern floss und ihr Gesicht umrahmte, aus dem ihn zwei saphirblaue Augen jetzt unsicher anblickten. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine Elfe wie sie gesehen zu haben. Sie sah aus wie eine Waldelfe, aber irgendwie auch nicht.
Jetzt senkte sie den Blick zu Boden. Für ihn war das Antwort genug.
»Weshalb vertraut Ihr Euch selbst nicht?«, fragte er.
Linara biss sich auf die Lippen. Sie kannte die Antwort aber es schien ihr nicht ratsam, sie auszusprechen. Der Elf gefiel ihr. Er war gewandt, kräftig und unbestritten gut aussehend. Sie wollte ihm vertrauen. Und genau darin sah sie die Gefahr. Was, wenn all dies nur dazu diente, sie zu blenden?
Der Elf breitete die Arme aus und präsentierte ihr seine ungeschützte Brust. »Wäre ich ein Magier, der Euch nach dem Leben trachtet, hätte ich bereits einen Blitzstrahl durch Euren Körper gejagt. Und wäre ich ein feindlich gesinnter Krieger, würden wir jetzt die Klingen kreuzen, bis unser Blut die Teppiche tränkt. Doch beides ist nicht der Fall! Ihr habt dem Phönix für die Rettung Eures Lebens gedankt! Warum sollte ich es Euch nun nehmen? Vielmehr wünschte ich, ich hätte mehr tun können, als zu schreien und wie ein Irrer zu flattern.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »An Eurer Seite gegen den Feind die Waffen zu ziehen, wäre eine Ehre für mich.«
Langsam, sodass die Elfe jede seiner Bewegungen genau verfolgen konnte, ließ er seine Dolche in die Scheiden gleiten. Dann hob er die Hände mit den Handflächen nach außen und kniete vor ihr nieder.
»Ich flehe Euch an! Steckt die Waffe weg! Ich will Euch kein Leid antun. Das Einzige, das ich, wenn ich könnte, von Euch wünschen würde, wäre Eure Freundschaft. Das schwöre ich bei all den Ahnen unseres Volkes.«
Linara stand mit offenem Mund da und starrte auf den Elfen nieder. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Noch nie in ihrem Leben hatte jemand so zu ihr gesprochen.
Sie war sich nicht sicher, was in solch einer Situation zu tun sei. Sie sah keinen Sinn darin, den Elfen als einen Gefangenen zu nehmen. Verhören konnte sie ihn nicht, da ihr keine Fragen einfielen, deren Antwort ihr weiterhelfen würde. Und töten wollte sie ihn nicht.
Schließlich ließ sie mit einem Seufzer das Schwert sinken. Sie zögerte, doch als der Elf sich nicht bewegte, steckte sie die Klinge weg.
»Bitte, steht auf. Ich habe keinen Rang, der solch demütiges Verhalten fordern würde.«
Der Elf lächelte innerlich, als er erkannte, dass ihr sein Verhalten offensichtlich peinlich war. Er wollte in einer gewohnt fließenden Bewegung aufstehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Seine Knie knickten ein und er fand sich im nächsten Augenblick auf allen vieren am Boden wieder.
Linara war mit einem leisen Aufschrei zur Seite gesprungen. Doch nun, da sie erkannte, dass der Elf offenbar Probleme hatte und sie nicht mithilfe eines Tricks angreifen wollte, ging sie auf ihn zu, um ihm ihre Hand als Stütze anzubieten.
»Ist alles in Ordnung mit Euch?«, fragte sie und musste feststellen, dass die Besorgnis, die in ihrer Stimme mitschwang, echt war. »Seid Ihr verletzt?«
Der Elf zog sich an ihr hoch und schüttelte den Kopf. »Nein.« Er griff sich an den Hals und betrachtete dann seine vom Blut gefärbten Finger. »Nein, nicht wirklich!« Und erklärend fügte er hinzu: »Es ist nicht leicht, mit den eigenen Beinen zurechtzukommen, wenn man jahrelang als Vogel auf einer Stange in einem Käfig gesessen hat.«
»Wie lange seid Ihr in Gefangenschaft gewesen?«
Der Elf hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Welches Jahr haben wir denn?«
Linara sah ihn einen Augenblick verblüfft an, bevor sie antwortete: »Wir befinden uns im sechsten Mond des zweiten Jahres im Sternzeichen des Berglöwen«, womit sie sich absichtlich auf die Zeitrechnung nach den Gestirnen berief, die, wie sie annahm, bei den Elfen gebräuchlich war.
»Oh!«, machte der Elf. »Nun. Dann kam es mir also nicht nur wie eine Ewigkeit vor ...« Gedankenversunken sah er zu dem Vogelkäfig zurück und dann auf die Leiche des Ogers – oder zumindest auf den Schutthaufen, unter
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