Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
unter ihr entging, saß Linara auf dem Rücken ihres Reittiers. Sie war froh, dass ihre Mission sie an die Flanken des Kalkspitzengebirges führte. Hier wollten die Drachenreiter Höhlen aufspüren, in denen sich Orkbanden verkriechen könnten. Doch die Elfe hielt nicht Ausschau nach Erdlöchern. Sie suchte nach einem hohlen Baum oder einem goldenen Vogel oder einem einzelnen Elfen.
Jacharthis war nach ihrer Auseinandersetzung nicht mehr zurückgekehrt. Über eine Woche war seither vergangen. Mittlerweile war Linara klar geworden, dass er nicht mehr kommen würde. Er war gegangen, wie er es seit dem ersten Tag angekündigt hatte. Doch sie waren im Streit auseinandergegangen. Und mehr noch, als eine Chance zu erhalten, sich angemessen bei ihm zu entschuldigen, wollte sie eine Gelegenheit, um ihn zu überreden, zurückzukommen und zu bleiben.
»Ich dachte, wir wären Freunde geworden. Oder wir hätten es sicher noch werden können«, flüsterte sie in den Wind.
»Da vorne ist etwas!« Asters Stimme ließ sie hochschrecken. Sofort erkannte sie, was die Katze meinte. Doch es war kein hohler Baum. Wie auch hätte sie das hoffen können?
Es war eine Ruine. Hier und da ragten Mauerreste aus dem im Wind wogenden Blättermeer der Bäume empor. Linara versuchte sich vorzustellen, wie das Gebäude einst ausgesehen haben mochte, welchem Zweck es gedient hatte. Wer hatte hier gehaust, viele Kilometer entfernt von jeder Siedlung?
»Wir landen auf der kleinen Lichtung dort, Hang aufwärts!«, rief Atharis und lenkte Moorfee tiefer.
Linara seufzte. Sie bedauerte, ihre inoffizielle Suche abbrechen zu müssen. Waren ihre Chancen denkbar schlecht, den Baum des Elfen aus der Luft zu finden, so war es am Boden schier unmöglich. Letztendlich könnte sie wenige Meter neben dem Unterschlupf vorbeigehen, ohne ihn zu bemerken.
Im Grunde wusste Linara längst, dass sie Jacharthis nicht wiedersehen würde, wenn der Elf es nicht selbst wollte. Dennoch war sie nicht bereit, ihre Suche aufzugeben – jetzt noch nicht.
Steinerne Mauerfragmente ragten wie die Zähne eines gewaltigen Tieres zwischen dem Dickicht des Waldes empor. Hier und da überspannte der schmale Bogen einer Tür die bizarren Überreste. Der größte Teil aber war eingestürzt und ließ kaum erahnen, welche Form das Gebäude einmal gehabt hatte. Und selbst, wo noch Steine aufeinander standen, durch bröckelnden Mörtel zusammengehalten, sprossen bereits Farne und Gräser hervor. Bäume streckten ihre Äste durch Löcher, die einst Fenster gewesen sein mochten. Der Wald holte sich zurück, was vor langer Zeit ihm gehört hatte.
Je näher er der Ruine kam, umso mehr bezweifelte Atharis, dass sie von anderen Wesen als Mardern und Meisen bewohnt sein könnte. Es war undenkbar, dass eine Decke oder ein Stück des Daches intakt geblieben war, um einem Bewohner Schutz vor dem Wetter zu bieten. Und wenn es doch so wäre, dann würde er selbst keinen Fuß darunter zu setzen wagen, aus Angst, dass die Steine endgültig nachgaben und ihn bei lebendigem Leib begruben. Und doch! Es gab Pfade, schmale Schneisen, wo das Unterholz des Waldes weniger dicht war. Hier und da war Gras niedergetreten.
Automatisch legte Atharis die Hand auf den Schwertknauf. Er glaubte nicht, dass sich Orks oder Goblins hier versteckt hielten. Wer immer diese Wege benutzte, bewegte sich mit Bedacht. Gerade deshalb wollte er auf einen verstohlenen Angriff vorbereitet sein.
»Wir schwärmen aus. Aster und Cirano, ihr umrundet die Ruine zum Hang hin. Imares, du kommst mit mir. Wir treffen uns auf der anderen Seite. Linara, ich lasse dir freie Hand. Wenn du eine geeignete Stelle findest, versuche eine Aussichtsposition zu erreichen. Aber gib Acht! Ich habe wenig Vertrauen in diese Gemäuer.«
»Ich werde besser einen Baum wählen.«
Atharis machte eine Handbewegung, um zu unterstreichen, dass er ihr die Entscheidung überließ. Die Elfe wusste selbst am besten, wie weit sie sich in diesem tückischen Gelände wagen konnte. Dann winkte er Imares an seine Seite und bahnte sich einen Weg durch hohe Brennnessel, eine bedenklich in Schräglage geratene Wand entlang, den Hang hinab. Aster und Cirano gingen einige Meter den Weg zurück und verschwanden im Dickicht.
So war Linara nach wenigen Augenblicken allein. Unschlüssig sah sie sich um. Aus der Luft hatte sie gesehen, dass die Mauerreste einen Innenhof umschlossen, oder vielleicht war es einmal eine große Halle gewesen, im Zentrum des Bauwerks.
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