Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
Händen. Der Stoff seines Umhangs umwehte seine schlanke Gestalt und folgte seinen geschmeidigen Bewegungen. Und obwohl er eine Kapuze trug, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, stellte Linara mit unumstößlicher Gewissheit, jedoch noch größerer Verwirrung fest, dass sie einem Elfen gegenüberstand.
Konnte es wirklich sein, dass Elfen für die Gräueltaten in Waldegg verantwortlich waren? Wie bei den Menschen gab es wohl auch bei ihrer Rasse Gesetzesbrecher und eiskalte Killer.
Linara hob ihre Schwerter in einer offenen Drohung vor sich. Aber kämpfen wollte sie nicht. Vielmehr hoffte sie auf eine Erklärung. Womöglich war dies alles nur ein Missverständnis.
»Im Namen des Gesetzes von Silbersee! Gebt Euch zu erkennen!« Es klang nicht sehr selbstsicher. Viel zu schrill, fand Linara und biss sich auf die Lippen. Ihr Bruder konnte das besser!
Der Elf blieb nur wenige Meter vor ihr stehen. Linara konnte nicht leugnen, dass die Ruhe, die in all seinen Bewegungen lag, erneut Angst in ihr aufkeimen ließ. Es war diese Gelassenheit eines Killers, der sich seines Sieges gewiss war – nicht aufgrund von Hochmut, sondern weil er sich auf seine Fähigkeiten vollkommen verlassen konnte. Nun hob er eine Hand und zog sich die Kapuze vom Kopf, sodass die Waldelfe sein Gesicht erkennen konnte.
Linara erstarrte zur Salzsäule.
Die Haut des Elfen war von stählernem Graublau. Die fein gemeißelten Gesichtszüge, die im Licht der blassen Mondsichel, das durch das Blätterdach der Bäume sickerte, schwach schimmerten, wurden von einer langen Mähne silbernen Haares eingerahmt. Dennoch schien der Elf alles andere als ein grauhaariger Greis zu sein. Linara schätzte, dass er gerade einmal das erste Jahrhundert seines Lebens abgeschlossen hatte.
Aber das war es nicht, was sie vor Entsetzen lähmte.
Es waren seine Augen! Sie zeichneten sich scharf gegen seinen Teint ab, wodurch sie in der Dunkelheit geradezu stechend zu leuchten schienen. Eine eisige Kälte lag in ihnen. Linaras Blut schien zu gefrieren. Ihr war, als hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen.
Sie kannte diese Augen!
Es waren die gleichen Augen, die sie jahrelang immer wieder in Albträumen verfolgt hatten – die in den Schatten der Nacht nach ihr gesucht hatten.
Nun hatten sie sie gefunden! Nun stand sie ihnen gegenüber und ihr kaltes Blitzen stahl den blanken Klingen der Schwerter die Show.
Der Schattenelf, welcher die Pfeile auf Jacharthis abgeschossen hatte, hielt sich sorgsam zwischen den Bäumen verborgen und sah sich nach seinem Opfer um. Ihm war klar, dass sein zweiter Schuss den Elfen nur gestreift oder sogar vollends verfehlt hatte, und er trachtete danach, dieses Missgeschick schnell zu korrigieren. Genau genommen konnte es sich sogar als fatalen Fehler erweisen, sollte es ihm nicht gelingen, seinen Gegner zur Strecke zu bringen. Dies hier war nicht sein eigentlicher Auftrag. Er war mit seinen Kampfgefährten in diesen Wald entsandt worden, um ein paar erbärmliche Schafhirten zu töten, welche sich in den Zugangshöhlen zum Reich der Siath herumgetrieben hatten. Es mochte sein, dass den neugierigen Menschen nicht klar war, worauf sie gestoßen waren. Doch die Schattenelfen konnten es nicht zulassen, enttarnt zu werden. Der Befehl war eindeutig gewesen. Die kleine Kampftruppe sollte heimlich die Hirten töten und, ohne Spuren zu hinterlassen, ins Reich der Schatten zurückkehren. Nun aber waren sie auf Elfen gestoßen – auf Lichtelfen! Und sie hatten einstimmig beschlossen, ihre Befehle zu missachten, um diese niederträchtigen Bastarde zu töten. Sollte dem Bogenschützen aber aufgrund seines Fehlschusses sein Opfer entwischen, war es gut möglich, dass nicht nur die Mission, sondern das gesamte Schattenreich in Gefahr war. Der Lichtelf durfte niemandem davon erzählen, dass Siath an den Hängen des Kalkspitzengebirges patrouillierten! Unglücklicherweise konnte der Bogenschütze seinen Widersacher im Moment nicht ausmachen.
Sein Blick fiel auf die zierliche Elfe unter dem Baum.
Er legte einen weiteren Pfeil an und zielte. Die Linie war frei – das Opfer präsentierte sich wie auf dem Silbertablett.
Sein Kampfgefährte schien die Situation unter Kontrolle zu haben und er würde es sicherlich nicht billigen, wenn ihm sein Opfer auf diese Art von der Klinge gestohlen wurde. Doch für den Bogenschützen wäre es eine Genugtuung, wenigstens einen dieser Lichtbastarde auszulöschen.
Er kam nicht mehr dazu, sich zu entscheiden.
Die
Weitere Kostenlose Bücher