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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Portier
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Pillen und schluckt sie mit etwas Tee. Immer noch vor ihm kniend, wartet der alte Mann geduldig. Evan streckt ihm die Hand entgegen. Der andere ergreift sie und hilft ihm beim Aufstehen. Evan zeigt ihm eine Pinie, die etwa zehn Meter entfernt ist. Auf den alten Mann gestützt, setzt er sich humpelnd in Bewegung. Unter dem Baum angekommen, klappt er zusammen, stöhnend vor Schmerz.
    »Und? Sind wir weit genug weg? Kann ich jetzt sprechen?«
    Der Tibeter nickt, ohne zu verstehen, kniet sich hin und reicht ihm die gestutzten Zweige. Evan belächelt dessen Hartnäckigkeit, nimmt die Stöcke und legt sie neben sein gebrochenes Bein.
    »Sie sind sympathisch … Schade, dass wir uns unter solchen Umständen begegnet sind.«
    Der Bauer macht eine verständnisvolle Miene.
    »Sie haben sie umgebracht, das wissen Sie.«
    Evan schaut ihm ungerührt in die Augen.
    »Auch ich habe sie umgebracht … Ich habe ihr diese Reise geschenkt … Außerdem hätten wir gestern Abend da oben übernachten können.«

    Gedankenverloren hebt Evan die Augen in Richtung der Gipfel. Von den ersten Sonnenstrahlen getroffen, färbt der Himmel sich blau.

    Den Nacken an den umschatteten Stamm gelehnt, die Waschschüssel zwischen zwei Wurzeln geklemmt, holt Evan tief Luft. Das Gesicht schweißbedeckt, die Augen geschlossen. Er hat den beschädigten Walkman an die Brust gedrückt und den Kopfhörer aufgesetzt. Daraus dringt jenes gedämpfte Presto der Violinsonate von Johann Sebastian Bach, das er im Augenblick des Unfalls hörte. Das Hosenbein ist bis zum Knie gekürzt, die Wade mit Bandagen umwickelt. Die äußersten Enden der Schiene ragen darüber hinaus.
    »Mein Herr?«
    Evan öffnet ein Auge zur Hälfte. Der alte Mann kauert vor ihm.
    »Hören Sie mich?«
    Die undeutliche Stimme des Bauern mischt sich in die leidenschaftlichen Schwünge der Bratsche. Evan drückt die Stopptaste. Der Tibeter lächelt ihm zu.
    »Geht’s besser?«
    Evan betrachtet ihn ohne die geringste Regung. Sein Gegenüber bemerkt die Belanglosigkeit der Frage,
kratzt sich hinten am Hals und winkt ab, als wollte er sie zurücknehmen.
    »Ich heiße Tsepel.«
    Evan zeigt weiterhin keine Reaktion. Der Bauer klopft sich auf die Brust und wiederholt seinen Namen.
    »Ich, Tsepel. Du?«
    Er deutet mit dem Zeigefinger auf Evan, der abermals seufzt.
    »Evan.«
    Der alte Mann wiegt unsicher den Kopf.
    »Evan?«
    Evan zwinkert mit den Augen Zustimmung. Er wirkt erschöpft.
    »Ja. Evan.«
    Der Tibeter nickt, richtet sich auf und wagt den nächsten Schritt.
    »Evan, ich werde jetzt deine Frau entkleiden und ihre Sachen verbrennen …«
    Müde schließt Evan die Augen, öffnet sie wieder und hört dem alten Mann stoisch zu.
    »Sie muss erkennen, dass sie nicht mehr von dieser Welt ist. Sie muss bereit sein, ihr vergangenes Leben hinter sich zu lassen. Nur so kann sie befreit werden, verstehst du …?«
    Evan wirkt unerschütterlich. Tsepel spricht langsam und ruhig.

    »Solange sie an ihr Leben gebunden bleibt, bleibt sie im Zwischenzustand stecken.«
    Evan wendet den Kopf Anne zu. Der Schal, der ihr Gesicht bedeckte, ist durch den Wind weggeweht worden. Nun ist es der prallen Sonne ausgesetzt.
    »Du darfst dich nicht aufregen. Bleib ganz friedlich. Du musst sie bereitwillig fortgehen lassen. Sonst wirst du sie hier festhalten und ihre Leiden vergrößern. Tu so, als wärst du gleichgültig. Einverstanden?«
    Evan betrachtet zerstreut den Leichnam. Der alte Mann schenkt ihm ein liebenswürdiges Lächeln.
    »So ist es sehr gut.«
    Tsepel kramt in seiner Tasche und zieht ein Stück getrocknetes Fleisch hervor, das er ihm anbietet.
    »Nimm. Du musst essen, musst wieder Kraft schöpfen.«
    Evan fixiert den schmalen dürren Streifen.
    »Da hinten gibt’s reichlich zu essen.«
    Er deutet auf die Dinge, die um das Motorrad verstreut liegen.
    »Ich hab keinen Hunger.«
    Er schließt erneut die Augen.

    Der Tag neigt sich. Ein Raubvogel kreist in der lauen Luft. Evan öffnet die Augen. Noch immer sitzt er mit dem Rücken gegen den Stamm der Pinie, deren flach fallender Schatten bis zu Anne reicht und ihre sterbliche Hülle mit einem frischen Hauch überzieht. Neben ihr, auf seinem Posten, fährt Tsepel fort mit der Beschwörung.
    »Gestern hast du das klare Licht gesehen. Falls du dich darin nicht wiedererkannt hast, wirst du in den Bardo der Wirklichkeit eintreten und dann hier umherirren …«
    In der Ferne hallen Hupsignale. Abrupt richtet Evan sich auf und lässt seinen Blick über den Berg

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