Barins Dreieck
ab und sitzt da, als wenn nichts geschehen wäre. Ich sage nichts. Janos sitzt zurückgelehnt da, mit geschlossenen Augen die Sonne genießend. Das Meer glitzert. Ich putze mir die Nase, habe wohl einen Allergieanfall. Die Möwen schreien.
DIENSTAG, 26. SEPTEMBER.
I ch schaue durchs Fenster auf die kranken Ulmen im Universitätspark. Die meisten haben bereits das Laub abgeworfen. Es wird nur noch ein paar Jahre dauern, bis man beschließt, sie abzuholzen und neue zu pflanzen. Vielleicht ist der Beschluss bereits gefasst worden, denke ich. Vielleicht ist der Todestag dieser hundertjährigen Bäume festgelegt und kurz bevorstehend.
Mit halbem Ohr höre ich Herrn Vegele zu. Verspüre eine gewisse Ungeduld, aber natürlich muss er seine sechzig Minuten bekommen. Er hat mein Honorar bezahlt, und er ist sowieso der Letzte.
Der Einzige, dem ich nicht habe absagen können. Wir hatten heute Morgen eine kurze Besprechung, bevor Walther sich auf den Weg machte, haben beschlossen, welche Klienten ich übernehmen könnte und welche einen neuen Termin bekommen sollten. Ein Ränkespiel natürlich, sobald er aus der Tür war, rief ich alle an und sagte ab.
Sowohl Walthers als auch meinen Klienten. Nur Arnold Vegele konnte ich nicht erwischen.
Ich habe auch sauber gemacht. Nicht, dass ich so viele persönliche Dinge in der Praxis habe. Ich habe ja sozusagen niemals existiert. Wenn ich von hier fortgehe, werde ich nur meine Aktentasche und einen Schuhbeutel mitnehmen. Der einzige Punkt, in dem wir nicht übereinstimmten, Walther und ich, das war die Schuhgröße; er hat eineinhalb Nummern größere und außerdem bedeutend breitere Leisten. Das ist alles.
Ich schaue auf die Uhr, die ich vor mich auf den Schreibtisch gelegt habe. Noch fünfzehn Minuten. Ich denke an Walther. Sicher ist er um diese Zeit schon in Geldenaar ... er will vier Tage in seinem Sommerhaus verbringen, es geht um einen Artikel für die Dezembernummer der »Psychiatrischen Zeitschrift«. Über Gestalttherapie, wenn ich es richtig verstanden habe.
Er hat viele Eisen im Feuer, der Walther. Ich habe mich vergewissert, dass er dort allein sein wird, wir haben Monate auf so eine Gelegenheit gewartet. Es ist lange her, dass wir den Entschluss gefasst haben, zeitweise hatten wir das Gefühl, alles würde uns aus den Händen gleiten.
Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass Muster und Gerechtigkeit unterschiedliche Dinge sind.
Ich zeichne eine Palme. Höre geduldig Herrn Vegele zu. Es ist schwer zu sagen, wie man mit ihm verfahren soll. Seine Geschichte ist schon etwas Besonderes, kein Zweifel ... er wird aussterben.
Nicht Herr Vegele selbst, aber seine Familie. Er ist der letzte Vegele. Rosig und frisch zwar, aber falls nicht etwas Radikales eintrifft, wird er das Ende der Geschichte bilden.
Das Geschlecht ist ungarisch. Die Ahnentafel geht zurück bis ins dreizehnte Jahrhundert, das Gut der Vorväter heißt Págasjütl und liegt in Siebenbürgen. Einige Ruinenreste gibt es immer noch dort. Herr Vegele selbst war dort und hat es sich angeschaut. Besonders während des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts war die Familie mächtig und einflussreich. Man besaß Ländereien in vier Königreichen und hatte Verbindung zu den Habsburgern. Während des letzten Jahrhunderts ist es jedoch bergab gegangen. Zweig für Zweig ist verdorrt und abgefallen, und jetzt gibt es nur noch Arnold Vegele.
Mittleren Alters und ohne die Spur eines Erben.
Die Aussichten, einen zu bekommen, sind schlecht. Bereits in jungen Jahren entdeckte er seine homosexuellen Neigungen, und so ist es dann auch gelaufen.
Ich huste, um anzudeuten, dass die Stunde sich ihrem Ende zuneigt. Herr Vegele setzt sich auf. Knöpft den obersten Hemdkragen zu. Ein äußerst ordentlicher Mann, Arnold Vegele.
»Wie nähert man sich eigentlich einer Frau, Herr Doktor?«
»Sie meinen, mit ernsten Absichten?«
»Ja.«
Ich überlege, während er sich die Schuhe zubindet.
»Es gibt viele Möglichkeiten«, sage ich dann. »Unendlich viele eigentlich. Wenn Sie sich Ihrer Absichten nur sicher sind, dann werden Sie einen Weg finden.«
»Jaha ... ja, das ist natürlich genau das Problem.«
Ich nicke und halte ihm die Tür auf.
Dann lasse ich die Jalousien herunter und stelle in der Küche das Gas ab. Ziehe mich um, hänge den Pullover und die Jacke in den Schrank. Schaue mich ein letztes Mal um, will aber nicht eine Sekunde länger als nötig hier bleiben. Ich laufe die Treppen
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