Barins Dreieck
hinunter, obwohl ich es eigentlich nicht eilig habe. Ich bin nicht verspätet, aber die mehrmonatige Wartezeit hat sich in meinem Körper angesammelt.
Der Tag der Konjunktionen, denke ich. Heute ist der Tag der Konjunktionen.
Ich hätte die Sterne studieren sollen.
F rühabends. Wir parken am Waldrand, ein gutes Stück vom Eingang entfernt. Bleiben ein paar Minuten noch sitzen. Ich rauche eine Zigarette. Kristine hält meine rechte Hand zwischen ihren. Wir sagen nichts. Sitzen schweigend da und ruhen uns nur aus. Judith schläft auf dem Rücksitz. Wir lauschen ihren Atemzügen. Sie sind gleichmäßig und verhältnismäßig ruhig. Kristine zieht die Decke über Judiths Beine.
Ich drücke die Zigarette aus. Öffne die Tür, stelle einen Fuß auf den Kies. Kristine lässt meine Hand los.
»Du bist dir sicher?«
Ich nicke.
»Zwanzig Minuten?«
»Allerhöchstens eine halbe Stunde.«
»Der gelbe Pavillon?«
»Ja.« Ich steige aus dem Auto.
Im Glaskasten sitzt eine Wache. Ein junger Mann mit gepflegtem Bart, ein Kreuzworträtsel vor sich aufgeschlagen.
»Walther Borgmann. Ich habe einen Besuch bei einem Patienten verabredet.«
Er blättert in seinen Listen. Schaut auf und gibt mir ein Formular, das ich ausfüllen soll. Als ich fertig bin, bekomme ich eine kleine Plastikkarte mit scharfen Kanten.
»Sechsundzwanzig. Der Pavillon unten am See. Melden Sie sich dort einfach an der Rezeption.«
Ich bedanke mich und trete durch das Tor. Es ist ein schöner Abend. Die Sonne steht tief, die Bäume duften nach Regen, obwohl es bereits Herbst ist.
Die Gebäude sind groß und eckig. Drei oder vier Stockwerke hoch, grüngrau oder blassgelb. Ich sehe kaum Menschen, ein paar, die dicht gedrängt um einen Tisch sitzen ... ein älterer Mann, der mir auf dem Kiesweg entgegen kommt, er hat einen Stock und geht mit schweren, schlurfenden Schritten ... ein junger Mann sitzt auf einer Bank und raucht, er hat eine Hundeleine in der Hand. Alle sind grün gekleidet. Jacken mit Gürteln und weite, umgekrempelte Hosen.
Ich melde mich in der Rezeption an. Zeige meine Plastikkarte. Man klingelt nach einem Pfleger, er taucht nach einer Weile auf, ein untersetzter, kräftiger Jüngling mit kurz geschnittenem, rotem Haar, so kurz, dass die Kopfhaut durchschimmert. Er hat Tätowierungen auf beiden Unterarmen, und die ganze Zeit läuft er vor mir her und spielt dabei mit seinem Schlüsselbund.
Es gibt viele Türen, die aufgeschlossen werden müssen, damit wir vorankommen. Flure und Treppen.
Endlich sind wir da. Er lässt mich in einen dunkelgrünen Raum ein. Folgt mir und bleibt gleich bei der Tür stehen. Schiebt die Hände in die Taschen und wiegt sich auf den Hacken und Spitzen.
Mein erster Eindruck ist, dass der Raum auf die Seite gekippt ist. Die Proportionen sind sonderbar: tief, schmal und sehr hoch. Das einzige Fenster liegt ganz oben unter der Decke. Es lässt so gut wie kein Licht herein und ist vergittert, obwohl es nicht größer als dreißig mal dreißig Zentimeter ist und es wohl unmöglich sein muss, dort hinaufzukommen.
Das spielt keine Rolle. Ich kenne das.
Das Inventar besteht aus einem Bett, einem Stuhl und einem Tisch mit einer kleinen Lampe. Mir ist klar, dass das Zimmer von einem größeren abgetrennt worden sein muss, nicht einmal ein Irrenhausarchitekt würde auf den Gedanken kommen, so etwas zu entwerfen.
Mein zweiter Eindruck gehört Alois.
Er sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Bett und reibt sich den Kopf. Die Hände sind umwickelt, ich weiß, warum. Auf beiden Seiten des Kopfes sind die Haare weggescheuert. Die Haut scheint rot und entzündet zu sein, an einer Stelle sieht sie aus wie eine offene Wunde.
Ich stehe still da und schaue ihn an. Fasse mich innerhalb der nächsten Sekunden, suche nach einem Zweifel, aber es gibt keinen. Ich schließe die Augen ... Versuche mir die Wunde größer vorzustellen. Eitrig, voller Maden oder Fliegen.
Es nützt nichts. Ich schaue ihn wieder an. Er wiegt sich langsam hin und her. Die Augen sind halb geschlossen, der Mund eine Spur geöffnet. Der Atem ist zu hören, etwas röchelnd. Er scheint uns nicht bemerkt zu haben.
Alles ist ungefähr so, wie ich es erwartet habe. Wie die Ärzte es beschrieben haben. Ich gehe zu dem Pfleger und bitte ihn, uns allein zu lassen. Er zögert kurz, aber dann sucht er nach den Zigaretten in seiner Brusttasche.
»Na gut, fünf Minuten.«
Ich stelle mich ans Fußende. Betrachte ihn.
»Alois«, sage ich.
Das
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