Barins Dreieck
gar nichts anderes erwartet. Der Verlag war bereit, meinen weiteren Aufenthalt in A. bis Mitte Juni zu finanzieren. Ich würde sofort meine Übersetzung schicken – nachdem ich zunächst eine Sicherheitskopie gemacht hätte, die ich dann an sicherem Ort verwahren sollte.
Anschließend sollte ich zur Polizei gehen.
Und genau in dieser Reihenfolge führte ich meine Geschäfte auch aus. Das Kopieren dauerte eine Stunde in einem Copyshop etwas weiter unten in der Magdeburger Laan. Anschließend schickte ich die Originalübersetzung vom gleichen Postamt ab, von dem aus ich telefoniert hatte. Ging dann nach Hause und legte die Kopie aufs Bücherregal.
Auf dem Weg zum Polizeirevier in der Utrecht Straat machte ich einmal Halt und trank in einem Café im gleichen Viertel einen Whisky. Es war zwar in letzter Zeit etwas viel in dieser Beziehung geworden, aber mir war klar, dass ich etwas brauchte. Ich trank mein Glas an der Bar, und während ich dort stand, fiel mir die ganze Zeit Mariam Kadhars starke sinnliche Ausstrahlung ein. Ihre zarten Schultern und ihre offensichtliche Nacktheit unter den Kleidern. Ich weiß noch, dass es sehr ruhig im Café war, so ruhig, dass ich, als ich die Augen schloss, kein Problem hatte, mir ihre Gestalt auf dem leeren Hocker neben mir vorzustellen.
Ein paar Minuten später trat ich durch die halb transparenten Glastüren des Polizeireviers, erklärte einer Beamtin am Empfang, worum es ging, und nach einigem Hin und Her durfte ich einem schroffen, aber Vertrauen erweckenden Kriminalinspektor die ganze Geschichte darlegen. Ich erinnere mich, dass er deBries hieß und dass er eine Ajax-Nadel am Revers hatte.
Diesem geläuterten Polizeioffizier überließ ich auch – gegen Quittung, etwas, worauf Amundsen größten Wert gelegt hatte – Reins Originalmanuskript sowie die vier Briefe, und als ich sehr viel später wieder auf die Utrecht Straat trat, geschah das mit einer gewissen Hoffnung, dass der eine Grund für meine Reise nach A. sich damit erledigt haben sollte und dass ich ab jetzt umso mehr Kraft und Zeit dem anderen widmen könnte.
Ich muss zurückschauend zugeben, dass ich in diesem Punkt weitestgehend erhört wurde.
II
A m dritten Tag in Folge wache ich sehr früh auf. Stehe in den Morgenstunden auf meinem Balkon und schaue zu, wie Herrn Kazantsakis beiden kräftigen Söhne sich auf das vollkommen ruhig glänzende Wasser begeben, um zu fischen.
Es ist kaum mehr als ein Ritual, genau wie viele andere Arbeiten in diesen Breiten. Sie sind meist so drei, vier Stunden draußen, kommen dann kurz vor Mittag zurück und präsentieren unter Äußerungen des Bedauerns und Achselzucken den Touristen ihren mageren Fang. Normalerweise ein Dutzend kleine, rötliche Fische, die man später im Restaurant zum Mittagessen bekam. Gebraten, wie sie waren, mit Haut und Gräten und ohne Salz, Kräuter oder besonders viel Phantasie.
Thalatta, denke ich und kehre zurück ins Dunkel des Zimmers. Suche Schreibheft und Stift, Zigaretten und Wasserflasche. Gehe wieder hinaus. Setze mich auf dem Plastikstuhl zurecht, um mit dem Schreiben anzufangen. Es ist erst zwanzig nach sechs. Die Kühle der Nacht hängt noch in der Luft und wird es noch eineinhalb Stunden tun. Der Balkon liegt im Schatten, eigentlich ist das jetzt der einzig nutzbare Teil der Wohnung während der hellen Stunden des Tages.
Die Insel ist so verdammt schön. Nicht zuletzt deshalb hoffe ich, dass ich mich auf Henderson verlassen kann und dass ich wirklich den richtigen Platz gefunden habe. Auf jeden Fall gedenke ich, den Monat noch hier zu bleiben und nichts dem Zufall zu überlassen.
Ich denke auch an diesem Morgen eine Weile an Henderson und seine unscharfen Fotos. Und an das Meer, die Berge und die Olivenhaine. Dann zünde ich mir eine Zigarette an und fange an zu schreiben.
Es war am 3. April, als Mariam Kadhar und Otto Gerlach verhaftet wurden. Ich hörte es in den Rundfunknachrichten, hatte sie gerade eingeschaltet, während ich in der engen Küche stand und meinen Morgenkaffee zubereitete.
Ich hatte davon natürlich gewusst, aber es so aus dem Mund des Nachrichtensprechers zu hören, ließ mich doch zusammenzucken. Als würde es erst jetzt Wirklichkeit werden, und irgendwie war dem ja auch so. Bis zu diesem Morgen war nichts an die Medien durchgesickert – mehr als zwei Wochen lang hatte die Polizei in absoluter Verschwiegenheit gearbeitet. Ich weiß nicht, ob das nur ein Zufall war oder ob sie wirklich alles
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