Barins Dreieck
Gewissenhaftigkeit und Konzentration nicht nachzulassen, und mein durchschnittliches Pensum lag irgendwo zwischen vier und fünf Seiten pro Tag. Ich verließ nie meinen Platz, wenn ich erst einmal in Gang gekommen war. Nahm um halb fünf meine Tasse Tee und meine Kekse entgegen und beendete meine Arbeit erst, wenn Frau Moewenroedhe oder eine der anderen beiden Frauen hereinkam und mich darauf hinwies, dass gleich geschlossen werde. Ich konnte sehen, dass zumindest die Rothaarige mir gern die eine oder andere Frage gestellt hätte, aber ich vermied geschickt ihren Blick, und so kam sie nie zum Zuge.
Auf dem Heimweg aß ich in einem der Restaurants auf der Van Baerlestraat – im Keyser oder im La Falote vorzugsweise – und verbrachte dann ein paar Stunden im Vlissingen, wo ich zwei Bier und zwei Glas Whisky trank, während ich in den Tageszeitungen blätterte oder einfach nur die Menschen beobachtete. Die meisten waren Stammgäste, und ich hatte schon früher damit angefangen, mehreren wiedererkennend zuzunicken.
Natürlich widmete ich einen Teil meiner Gedanken auch der Zukunft. Obwohl ich immer noch das Wachstuchpaket unberührt auf dem Bücherregal liegen hatte, näherte ich mich unerbittlich dem Punkt, an dem ich es öffnen musste, und wenn sich dann herausstellen sollte, dass der Inhalt so aussah, wie ich dachte, würden sich die Positionen natürlich ziemlich radikal verändern.
Ein neues Blatt. Um nicht zu sagen: ein neues Kapitel.
Wahrscheinlich war es das, was hinter meinem Vorsatz lag, mit der Übersetzung fertig zu sein, bevor ich den nächsten Schritt machte. Es konnte sicherlich nicht die Rede von einem überarbeiteten Text sein, den Kerr und Amundsen in die Hände bekamen – nur meine handgeschriebene erste Version –, aber ich hatte von der ersten Seite an gewissenhaft gearbeitet, und wenn sich herausstellen würde, dass sie tatsächlich lieber noch ein paar Monate warten würden, dann konnte ich ihnen natürlich immer noch die Alternative bieten. Aber sollten sich die Dinge in der Lage befinden, die ich zu diesem Zeitpunkt annahm, dann war ich ziemlich überzeugt davon, dass sie nicht zögern würden. Eher würden sie alles, was sie in den Händen hielten, fallen lassen, direkt in die Setzerei und Druckerei laufen und zusehen, das Buch so schnell wie überhaupt nur möglich auf den Ladentisch des Buchhändlers zu kriegen.
Und natürlich bekam alles – wenn meine Spekulationen richtig waren – den unverkennbaren Anflug von Sensation. Ein literarischer Scoop gewissermaßen, ganz einfach; in weit höherem Maße, als meine Auftraggeber es sich hatten erträumen können.
Das waren natürlich nur meine Einschätzungen. Aber während ich des Abends in meiner verrauchten Ecke im Vlissingen saß, wusste ich trotzdem, dass es genau so aussehen würde.
Es gab ganz einfach kein Anzeichen für das Gegenteil.
Eine Frage, die immer wieder auftauchte, war natürlich die, wie Rein selbst sich eigentlich zu all dem verhielt. Schließlich war er der Anstifter und Regisseur, das war kaum zu leugnen.
Lag er in seinem geräumigen Grab und drehte sich?
Oder lachte er sich ins Fäustchen?
Wenn ich mich recht erinnere, dann war es ein Mittwoch, an dem ich schließlich mit der Übersetzung fertig war. Es war jedenfalls kurz nach dem Tee. Ich sammelte meine Papiere, Bücher und den Block zusammen. Stopfte alles in die Aktentasche und verließ zum letzten Mal meinen Tisch. Als ich auf die Straße gekommen war, ging ich zu dem Blumenhändler, der immer am Eingang zum Vondelpark steht, und kaufte einen großen Strauß Blumen. Kehrte zur Bibliothek zurück und überreichte das Bouquet Frau Moewenroedhe, wobei ich ganz herzlich für das großzügige Entgegenkommen dankte, das man mir erwiesen hatte. Meine Arbeit war beendet, erklärte ich ihr, aber ich würde sicher noch ein paar Mal hereinschauen, da ich mich noch ein paar Monate in A. aufhalten wollte. Ich sah, dass Frau Moewenroedhe ganz gerührt war, aber sie fand nicht die richtigen Worte, und nach ein paar ziemlich banalen Abschiedsphrasen trennten wir uns.
Am gleichen Abend ging ich noch einmal die gesamte Übersetzung durch. Das dauerte gut sechs Stunden, ich machte natürlich die eine oder andere Korrektur, aber insgesamt erschien mir das Endresultat zufriedenstellender, als ich gedacht hatte. Trotz der Tiefe des Textes und seines Komplikationsgrads meinte ich, insgesamt die richtige Tonlage und die passenden Ebenen gefunden zu haben, und ich konnte
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