Barins Dreieck
schwer?«
»Beim zweiten Mal musste ich einen Arzt aufsuchen.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr einem Jahr.«
»Was war der Grund?«
»Es war mein Fehler.«
»Was meinen Sie damit?«
»Einspruch!«, unterbrach ihr Anwalt, der aufgestanden war. »Der Staatsanwalt stellt die ganze Zeit suggestive und nicht die Sache betreffende Fragen. Ich beantrage, dass er zur
Sache kommt oder sich setzt!«
Die Sätze ernteten im Publikum einen gewissen Beifall, und der Richter stimmte ihnen zu.
»Möchte der Staatsanwalt so gut sein und sich ab jetzt um das zu verhandelnde Verbrechen kümmern«, befahl er mit säuerlicher Miene.
»Aber gerne doch«, lachte der Staatsanwalt, der offensichtlich diese Art von Zurechtweisung nicht weiter ernst nahm. »Erzählen Sie mir von der Nacht, in der Ihr Mann starb, Frau Kadhar!«
Mariam Kadhar saß eine Weile schweigend da. Dann wandte sie ihren Kopf dem Richter zu.
»Kann ich vorher kurz mit meinem Anwalt reden?«
Der Richter nickte, und der Anwalt eilte zu ihr. Nach einer flüsternden Besprechung ging er zum Richter und teilte diesem etwas mit. Der Richter schrieb einige Zeilen auf ein Papier und richtete sich auf.
»Das Gericht macht eine kurze Pause«, erklärte er und klopfte mit dem Hammer auf den Tisch. »Fünfzehn Minuten Pause!«
D ie Tage werden immer heißer. Solange die Sonne am Himmel steht, ist es eigentlich undenkbar, sich irgendwo anders aufzuhalten als unten am Wasser. Ich habe versucht, mich im Haus oder oben im Olivenhain aufzuhalten, aber dort wird es schnell unerträglich. Nur das Meer ist in der Lage, einem ausreichend Kühlung zu geben, man muss gar nicht baden, sich nur in seiner Nähe aufhalten, im Schatten, ab und zu die Füße eintauchen oder den Kopf abkühlen.
Thalatta.
Vor kurzem habe ich versucht, der steinigen, kantigen Küste um die Landzunge im Osten zu folgen. Der Hintergedanke dabei war, den ersten der abgelegenen Sandstrände zu erreichen und vielleicht das Haus ein wenig näher zu inspizieren, das ich oben von der Kapelle aus gesehen hatte. Natürlich wäre es einfacher gewesen, mit dem Boot dorthin zu fahren, ich werde auf jeden Fall in den nächsten Tagen eins mieten. Die Strapaze kostete mich alles in allem mehr als drei Stunden, und trotzdem kam ich nicht so recht zum Zuge – was aber meine eigene Entscheidung war. Der Strand war nämlich mit einem guten Dutzend Menschen bevölkert, die alle so nackt, wie Gott sie schuf, am Strand herumliefen. Männer, Frauen und Kinder. Zwei Boote waren auch an Ort und Stelle: eine ziemlich große Motorjacht, die ein Stück weiter draußen im Wasser dümpelte, sowie ein kleineres Holzboot, das auf den Strand gezogen worden war, ungefähr der gleiche Typ wie das der Brüder Kazantsakis. Das Haus lag fünfzig Meter den Abhang hinauf, ein großes, weiß gekalktes Gebäude, umgeben von Zypressen. Die Terrasse lief rundherum, soweit ich erkennen konnte, Sonnenschirme, weiße Möbel und Badehandtücher bezeugten, dass die ganze Sippe hier wohnte, woraus ich den Schluss zog, dass es sich vermutlich nicht um Griechen handelte, da sie in so schamloser Nacktheit am Strand aufgetreten waren.
Aber genug davon. Einige Abende war ich mit dem Bus in den Hauptort gefahren und hatte unter Weinranken in den Tavernen gesessen. Es herrschte ein lebhaftes Treiben, und die örtliche Bevölkerung verbindet sich gern mit den Touristen zu einer ausgewogenen Mischung. Ich habe ein paar Mal meine Fotos gezeigt, und zumindest zweimal haben sie ein wiedererkennendes Nicken und Lächeln hervorgerufen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das wirklich etwas bedeutet oder ob es nur ein Ausdruck von Höflichkeit und allgemeinem Wohlwollen ist. Man spricht hier so gut wie ausschließlich Griechisch, abgesehen von den gebräuchlichsten Servicephrasen, und außerdem gibt es da noch etwas, was mich zurückhält.
Etwas schwer Begreifliches und gleichzeitig ganz Einfaches.
Ein Gefühl, als wollte ich nichts forcieren. Es gibt gewisse Muster, Dinge, die auch auf dieser Insel ihren Gang gehen müssen. Ich habe reichlich Zeit, und auch wenn ich bis jetzt noch kein entscheidendes Zeichen erhalten habe, so scheint es mir, als wäre ich doch am richtigen Ort. Noch ist dieses Gefühl natürlich nicht besonders tragfähig, und vielleicht ist es gerade diese Brüchigkeit, die dazu führt, dass ich es nicht belasten will.
Ein beschädigter Vogelflügel, der langsam am Abheilen ist, aber immer noch keinen richtigen Flug überstehen
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