Barins Dreieck
drei Jahren, auch wenn es anfangs eher von sporadischer Natur gewesen war. Die Sache – das betonten sowohl M als auch G – war vorzugsweise sexueller Natur und hatte seine Wurzeln in Reins erwiesenem Unvermögen auf diesem Feld. In Zusammenhang mit diesen Aussagen stellte der Staatsanwalt einen Teil ziemlich suggestiver Fragen und schaffte es, vor allem Mariam Kadhar ein wenig zu verwirren. Ich konnte deutlich sehen, wie das Wohlwollen in mehreren Gesichtern der Zuhörer erlosch, als sie versuchte, ihre Lage zu erklären, und wie die Mundwinkel von zwei Frauen unter den Geschworenen heruntergingen, als sie sie betrachteten. Auf die Frage, warum man Rein denn nicht eingeweiht habe, lachte Mariam Kadhar auf und zeigte mit einer einfachen Kopfbewegung, was sie von der Ansicht des Staatsanwalts bezüglich dieser Art von Affären hielt.
Auch das machte natürlich keinen besonders positiven Eindruck.
Was die Tatsachen betrifft, so hatte Otto Gerlach sich also – wie verabredet war – gegen sieben Uhr abends am 19. November draußen im Kirschgartenhof eingefunden. Es war geplant gewesen – so wurde zumindest behauptet –, dass auch Helmut Rühdegger, einer der Lektoren des Verlags, ihn begleiten sollte, aber es war etwas dazwischen gekommen – was genau, wusste man nicht. Ich erinnere mich, dass ich deshalb eine leichte Verärgerung empfand. Es musste doch wohl die einfachste Sache der Welt sein, bei Rühdegger selbst nachzufragen, aber das war offensichtlich nicht gemacht worden, weder von Kläger- noch von Verteidigerseite.
Wie auch immer, man aß tapfer zu dritt draußen in der Strandvilla, und ziemlich schnell stellte sich heraus, dass Germund Rein übelster Laune war – diese fast pubertäre Mischung aus Größenwahn und untergründiger Selbstverachtung, die für Autoren und andere Kreative nicht unüblich ist (laut Otto Gerlach, der offensichtlich zu wissen schien, wovon er sprach). Dass Rein jedoch irgendeinen Verdacht gegenüber seiner Ehefrau und seinem Verleger hegen könnte, das hatte keiner von beiden bemerkt. Weder zu diesem schicksalsschweren Zeitpunkt noch früher im Herbst. Ich muss sagen, dass ich ihre Hartnäckigkeit in diesem Punkt nicht so recht verstand. Es war doch – zumindest zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung – offensichtlich, dass Rein ein starkes, nur zu begründetes Misstrauen hegte, und wozu es eigentlich dienen sollte, davon so ausdrücklich Abstand zu nehmen, das war nur schwer verständlich. Sowohl im Gerichtssaal als auch später. Dennoch wurde kategorisch geleugnet, dass die schlechte Laune des Autors an diesem Abend in irgendeiner Art etwas mit ihrem lichtscheuen Verhältnis zu tun haben könnte.
Irgendwann gegen Mitternacht – um Viertel vor zwölf laut M, fünf Minuten nach zwölf nach G – hatte Rein jedenfalls genug von der Gesellschaft. Mit einer Cognacflasche in der Hand war er die Treppe zum Obergeschoss hinaufgewankt, hatte beide gebeten, sich doch zum Teufel zu scheren, und sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Es war abgemacht gewesen, dass Otto Gerlach übernachten sollte, aber dennoch und trotz der offensichtlichen Trunkenheit des Gastgebers, nutzten sie, so behaupteten sie jedenfalls, die Gelegenheit, das Nachtlager zu teilen, nicht. Gegen halb zwei Uhr brachen sie von den Ledersesseln auf und zogen sich in ihre Zimmer zurück. Otto Gerlach erklärte, er habe dann noch eine Weile im Bett gelesen, sei irgendwann zwischen Viertel nach zwei und halb drei eingeschlafen. Mariam Kadhar fiel – laut eigener Aussage – sofort in den Schlaf, als sie den Kopf aufs Kopfkissen legte.
Das war im Großen und Ganzen alles. Am Morgen danach war Otto Gerlach als Erster kurz nach zehn Uhr auf den Beinen, erst eineinhalb Stunden später entdeckte Mariam Kadhar den Brief in der Schreibmaschine in Reins Zimmer. Zuvor hatte sie mehrere Male gerufen und geklopft, mochte ihren Gatten aber nicht stören, wenn er denn seine Ruhe haben wollte, wie sie behauptete. Erst sehr spät betrat sie also sein Zimmer.
Der Brief war kein Geheimnis. Der Staatsanwalt las ihn laut vor und fragte, ob er identisch sei mit dem, der in der Maschine gesteckt habe. Sowohl M als auch G erklärten, dass dem so sei. Außerdem fragte er, was sie denn dazu sagten, dass es auf dem Briefbogen keinen einzigen Fingerabdruck von Rein gab, aber keiner von beiden konnte dazu eine logische Erklärung abliefern, und beide Male konnte ich erkennen, wie die Geschworenen ihre Stirn runzelten.
Was die
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