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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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sicher, ob er wirklich zugehört hat, aber es scheint sich doch in ihm festgesetzt zu haben. Aber jetzt hat er nichts mehr zu sagen.
    »Letztens habe ich mich an ›Gilliams Versuchung‹ erinnert«, fahre ich nach einer Weile des Schweigens fort.
    Das ist eine seiner frühesten Novellen: von einem Mann, der davon besessen ist, sein eigenes Leben wie das seiner Nächsten gemäß bestimmter Bilder und Zeichen zu lenken, die auf unterschiedliche Weise zu ihm kommen, in erster Linie in Träumen. Eine ziemlich bizarre Geschichte, die damit endet, dass er seine Frau und ihre beiden Söhne verbrennt. Die Versuchung im Titel verweist auf den Zweifel der Hauptperson vor dieser letztendlichen Handlung, auf die große Verlockung, nicht ... nicht den Anweisungen und seinen inneren Stimmen zu folgen.
    Aber zum Schluss überwindet er auch das.
    Rein lacht.
    »Ach, die!« Er denkt eine Weile nach. »Ja, man kann schon behaupten, dass das hinkommt.«
    »Wie haben Sie es gemacht?«, frage ich.
    »Was?«
    »Nun ja ... die Flucht?«
    »Das war keine Flucht. Nur ein neuer Pass und eine einfache Verkleidung ... und das Geld natürlich.«
    »Sie waren an diesem Abend nicht betrunken?«
    »Höchstens ein klein wenig.«
    »Trotzdem behaupte ich, dass Sie Glück hatten.«
    »Quatsch.«
    Während unseres gesamten Gesprächs habe ich darauf gewartet, dass er mir zumindest einmal für meine Hilfe dankt, eine gewisse Anerkennung dafür zeigt, dass ich seinen Erwartungen entsprochen und meine Rolle gespielt habe, wie er es geplant hatte, aber jetzt, wo die Sonne vollkommen verschwunden ist und die Dämmerung sich schnell auf uns senkt, da ist mir klar, dass er nicht im Traum daran denkt.
    Soll der Meister der Puppe dafür danken, dass sie tanzt?
    Der Marionette, weil sie auf das Ziehen der Fäden reagiert?
    Natürlich nicht.
    Ich schaue auf mein Boot hinunter, das ich auf den Strand gezogen habe. Es ist noch hell genug, um die unebenen Steinstufen ohne Licht hinunter gehen zu können (die noch aus der Zeit des Franzosen stammen), aber in einer halben Stunde wird es unmöglich sein. Rein ist wieder verstummt, und ich nehme an, dass seine relative Redseligkeit jetzt vollkommen erloschen ist. Ich betrachte ihn einige Sekunden lang, und obwohl er meinen Blick spüren muss, dreht er nicht den Kopf.
    Es ist offensichtlich, dass er in Ruhe gelassen werden will, ich leere mein Glas und stehe auf.
    »Ich glaube, es ist an der Zeit.«
    Er nickt, erhebt sich aber nicht. Bleibt sitzen und rollt eine neue Zigarette in seiner plumpen Maschine.
    Die Frage kommt, als ich ihm bereits den Rücken zugekehrt habe.
    »Sie haben doch wohl nicht vor, das hier in die Medien zu bringen? Meine neue Identität ist wasserdicht, das möchte ich betonen. Es wäre einfach keine gute Idee.«
    »Natürlich nicht.«
    »Es wäre sicher auch nicht sehr opportun, wenn Sie als schlechter Verlierer auftreten würden, oder?«
    »Keine Sorge.«
    »Rein ist tot.«
    »Rein ist tot. Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Als ich das Boot erreicht habe, ist es bereits so dunkel, dass ich ihn oben auf der Terrasse nicht mehr erkennen kann. Ich will kein Licht machen und bin gezwungen, eine Weile unter dem Netz, das zusammengerollt auf dem Schiffsboden liegt, nach dem Messer zu suchen. Dann finde ich es.
    Setze mich hin, wiege es in der Hand und fahre weitere zwanzig Minuten vorsichtig über die scharf geschliffene Klinge, während die Dunkelheit immer dichter wird. Denke über das eine oder andere nach, aber über nichts, was wichtig genug wäre, um es zu erwähnen, und nichts, was mir im Gedächtnis haften bleibt. Und als ich sehe, dass er oben ein Licht entzündet hat, mache ich mich erneut auf den Weg die unebenen Treppenstufen hinauf.

Alois

I

    FREITAG, 18. APRIL

    H eute hat mich meine Ehefrau verlassen. Ich war noch gar nicht richtig erwacht und hatte mir kaum den Schlaf aus den Augen gerieben, als sie plötzlich weg war. Um mich über den Stand der Dinge zu unterrichten, hatte sie einen Brief geschrieben. Der lag auf dem Küchentisch, ein wenig nachlässig gegen die Zeitung gelehnt. Ich las ihn, während ich auf meinen Kaffee blies, damit ich ihn trinken konnte. Ich habe heißen Kaffee schon immer verabscheut. Ganz besonders morgens.
     
    Am Nachmittag rief ich aus dem Café an, um nachzuprüfen, ob sie nicht doch zurückgekommen wäre. Ich ließ es zwölfmal klingeln, bevor ich auflegte, dann bestellte ich mir ein Bier und überlegte, was ich machen sollte. Florian blieb

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