Barins Dreieck
einen Augenblick bei mir stehen, nachdem er das Glas vor mich hingestellt hatte.
»Schlechten Tag gehabt?«, fragte er.
»Meine Frau hat mich verlassen.«
»Ingrid?«
»Nein, Kristine. Wer ist Ingrid?«
»Verzeihung. Ich dachte ...«
Ich habe nie erfahren, was er dachte. Er sog die Wangen auf seine charakteristische, ein wenig mondäne Art ein, ließ das Geld in die Schürzentasche rutschen, ohne es nachzuzählen, und setzte seinen ewigen Kreislauf fort.
Wir gehen schon seit fast zehn Jahren in dieses Café, Kristine und ich, und trotzdem weiß man hier also nicht, wie wir heißen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute in unserer Stadt sich nicht in gleicher Weise umeinander kümmern wie in anderen Städten.
Ein schlechter Tag? überlegte ich und begann die Situation zu analysieren. Zunächst versuchte ich mein Leben in groben Zügen gedanklich einzurichten. Das wirkte fast lähmend, also gab ich es bald auf. Kaufte stattdessen eine kleine Schale eingelegter Oliven, von der griechischen Sorte, und ging dazu über, über die Wohnung nachzudenken, die sich keiner von uns beiden allein würde leisten können, und über die Möbel und Bücher, Schallplatten und Fotos und anderes, was wohl in einer Lage wie dieser in gleich große Haufen aufgeteilt werden musste ... und all das verfinsterte meine Aussichten noch mehr.
Schließlich ging ich lieber dazu über, stattdessen das Wochenende zu planen. Freitagabend – Samstag und Sonntag. Sofort erschienen die Dinge leichter zu handhaben.
Baxi’s war fast das Erste, was mir einfiel, ich kann nicht sagen, wieso. Ich hatte dort sicher seit zehn Jahren meinen Fuß nicht mehr hineingesetzt, vermutlich nicht mehr, seit ich mit Kristine zusammen bin, aber jetzt war es mir klar, dass ich dorthin gehen musste. Wein trinken, der Jazzmusik zuhören und zusehen, zumindest ordentlich betrunken zu werden. Der Rest würde sich schon von selbst ergeben. Es war zweifellos wieder an der Zeit.
Es war natürlich typisch, dass ich als Allererstes Walther in die Arme lief. Ich hatte keine Ahnung, dass er im Baxi’s verkehrte, oder überhaupt, dass er an Jazz interessiert war. Aber wir haben ja immer sorgfältig darauf geachtet, Arbeit und Privatleben voneinander getrennt zu halten, was bestimmt seinen Sinn hat, wenn es auch ab und zu schwer ist zu verstehen, welchen.
»Was für ein Glück!«, sagte er und zog mich zu sich aufs Sofa zwischen ihn und eine kleine dunkelhäutige Frau in Zebrafell. »Ich habe den ganzen Nachmittag versucht, dich zu erwischen, wo hast du dich herumgetrieben?«
»Ich hatte nur den Stecker rausgezogen.«
»Ach so. Na gut, jedenfalls bist du hier! Du musst dich morgen Vormittag um eine Klientin kümmern.«
»Nie im Leben«, erwiderte ich, wusste aber natürlich, dass das sowieso nichts nützte. Walther ist derjenige, der die Regeln bestimmt, und ich bin derjenige, der sie befolgt, von etwas anderem war nie die Rede. Ich werde es Ihnen später erklären, lassen Sie mich nur auf eine etwas günstigere Gelegenheit warten.
»Sie kommt um elf Uhr. Du musst Viertel vor da sein, um dich einzulesen. Du findest alles unter G. Gisela Enn.«
Es gehört zu Walthers Eigenheiten, unsere Klienten nach ihren Vornamen zu katalogisieren. Das hat mit der Integrität zu tun. Wahrscheinlich meint er, es wäre schwieriger für Außenstehende, auf diese Art an Informationen zu gelangen. Natürlich ist das der absolute Quatsch, aber verglichen mit vielem anderen in unserer Firma ist das nichts, worüber man sich aufregen sollte.
»Ihr seid euch wirklich ähnlich, ihr beiden ... seid ihr Zwillinge?«
Die Zebrafrau betrachtete uns amüsiert. Ließ ihren Blick von einem zum anderen wandern. Ihre glänzenden Metallohrringe klirrten.
Ja, natürlich sind wir uns ähnlich, Walther und ich, das ist doch sozusagen überhaupt erst die Voraussetzung. Auch darauf werde ich noch zurückkommen.
»Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht unbedingt nötig wäre, das weißt du.«
»Selbstverständlich.«
»Du kannst dir dafür nächste Woche einen Nachmittag frei nehmen.«
Ich stützte mich auf ein gestreiftes Knie und begann mich hochzuarbeiten.
»Willst du nicht noch eine Weile bei uns sitzen bleiben?«
Sie zeigte ihre Zähne. Vielleicht war es ja ein Lächeln.
»Einer von uns reicht.«
Ich nickte ihnen zu und dachte, dass Baxi’s sich seit damals wirklich verändert hatte. Dann ging ich, setzte mich an die Bar, und nach ein paar reellen Drinks gelang
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