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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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in der ganzen Konstitution. Der Körperbau, die Haltung, die Gestik und alles. Innerhalb von mehr als zwanzig Jahren waren wir offensichtlich in genau der gleichen Art und Weise gealtert, es war uns sogar beiden geglückt, die gleiche dunkelbraune Haarfarbe zu behalten, und wir hatten die gleiche, ziemlich kurz gehaltene Frisur gewählt. Es gab keinen Zweifel: Leute, die uns zusammen sahen, würden uns als eineiige Zwillinge auffassen. Leute, die uns jeweils zu unterschiedlichen Gelegenheiten sahen, würden uns vermutlich für ein-und dieselbe Person halten.
    Und das erst recht, wenn wir uns nicht darum bemühten, diesen Irrtum aufzuklären.
    »Das ist ja wohl verrückt!«, rief Walther aus, nachdem wir uns gegenseitig eine Weile angestarrt hatten. »Du hörst von mir!«
    Er rief mich zwei Tage später an, und wir verabredeten uns bei Kraus. Dort machte er seinen verrückten Vorschlag, und ich stimmte fast ohne zu zögern zu. Wir führten eine Versuchswoche durch, alles fiel zu unserer Zufriedenheit aus, und ich kündigte im Labor. Rodin, mein Chef, ließ mich wissen, dass ich kaum damit rechnen dürfte, wiederkommen zu können, und ich erklärte ihm, wenn es einen Ort auf der Welt gäbe, an den ich garantiert nicht zurückzukehren gedächte, wäre es sein verdammtes Labor.
    Seitdem war ich also in Walthers Hand. Eigentlich hatte ich nie wirklich Grund gehabt, das zu bereuen. Zumindest nicht bis zu der Sache mit Gisela Enn.
     
    Ich schaute auf die Uhr. Fünf nach. Sie kam zu spät. Ich holte einen Zettel aus der Schreibtischschublade und malte Palmen. Kleine, öde Inseln mit einsamen Palmen. Es hat mir immer gefallen, dieses Motiv zu kritzeln, während der Schulzeit malte ich ab und zu auch noch Skelette von Schiffbrüchigen, gern in sitzender Stellung, dazu, die sich wie auf den klassischen Witzzeichnungen an den Stamm lehnten. Aber mit der Zeit bin ich dazu übergegangen, diese Variante auszulassen.
    Ich dachte natürlich auch an Kristine, und es war nicht einfach, das Leben an sich außen vor zu halten, während ich so wartete.
    War es wirklich ihr Ernst, dass wir getrennte Wege gehen sollten, nachdem wir so lange gemeinsam gekämpft hatten? Das fragte ich mich.
    Aber tief in mir wusste ich, dass es genau das war.
    Ihr Ernst.
     
    Wir, Walther und ich, haben als Regel, dass wir nicht länger als fünfzehn Minuten auf einen Klienten warten, und ich hatte schon zu hoffen gewagt, dass Gisela Enn nicht auftauchen würde, als ich Schritte draußen auf der Treppe hörte.
    Laut klappernde Absätze machten vor der Tür Halt, und nach einigen Sekunden des Zögerns klingelte es.
     
    V ermutlich hatte ich sofort diesen Eindruck. Dass es ein Problem werden würde, meine ich. Natürlich kann das auch erst retrospektiv entstanden sein – mit dem Fazit in der Hand, sozusagen –, aber es war nun einmal so, dass Walthers »Vorsicht« vor meinem inneren Auge aufleuchtete, sobald sie ins Zimmer trat, daran besteht kein Zweifel. Ich ergriff ihre Hand.
    »Gisela Enn?«
    »Ja.«
    Eine dunkelhaarige Frau in den Vierzigern. Klein und zart, aber trotzdem voller Kraft. Ihre Haltung und ihre Art sich zu bewegen zeugten davon, dass sie es gewohnt war, mit Menschen umzugehen ... dass sie das Selbstbewusstsein und die Sicherheit einer Geschäftsfrau besaß. Aber vielleicht war das ja auch alles nur Schein. Vielleicht täuschte sie mich. Meine Verfassung war an diesem Morgen nicht die allerbeste. Auf jeden Fall kann ich mich rühmen, Urteilskraft genug zu haben, um erkennen zu können, wenn mich jemand hereinlegt.
    Ich half ihr aus dem Mantel und bekam einen Hauch ziemlich anspruchsvollen Parfüms in die Nasenflügel. Sie setzte sich in den Sessel. Legte ein blaugetöntes Nylonbein über das andere und lehnte sich zurück. Ich holte ein Formular heraus und begann die Standardfragen durchzugehen.
    »Ihr vollständiger Name?«
    Viele Klienten geben natürlich ganz andere Namen als ihre eigenen an. Das gehört zum Spiel.
    »Gisela Everitt Enn.«
    »Mädchenname?”
    »Delgado ...”
    Sie strich eine Haarsträhne zurück. Sie war vollkommen schwarz, wahrscheinlich nicht aus eigener Kraft, glatt und halblang, und rahmte ein ziemlich schönes Gesicht mit hohen Wangenknochen und mandelförmigen Augen ein. Letztere gaben ihr einen leicht asiatischen Zug. Die Zeit hatte zwar hier und da ganze Arbeit geleistet, notdürftig vertuschte Falten um die Augen und den Mund sagten mir, dass sie zweifellos so einiges mitgemacht

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