Barins Dreieck
hatte.
»Familienstand?«
»Verheiratet, obwohl ...«
Sie zögerte. Ich ließ ihr Zeit.
». . . wir leben nicht zusammen.«
Ich nickte.
»Mein Honorar beträgt zweihundert Gulden pro Stunde. Wenn wir uns mehr als zehn Mal treffen, bekommen Sie Rabatt.« Das schien sie gar nicht zu interessieren. Ich schob das Formular beiseite. Die Präludien waren überstanden.
»Darf ich Sie darum bitten, sich aufs Sofa zu legen.«
Sie warf mir einen überraschten Blick zu. Dann tat sie, wie ihr geheißen.
»Möchten Sie etwas über die Beine?«
»Ja, gern.«
Ich holte die Decke aus dem hinteren Zimmer.
»Ein größeres Kissen?«
»Nein danke.«
»Sie liegen bequem?«
»Ja.«
Ich setzte mich hinter den Schreibtisch.
»Ja, also, Frau Enn, darf ich Sie dann bitten, mir zu sagen, warum Sie gekommen sind.«
Sie holte tief Luft. Zog die Decke gerade. Ich nahm meine Armbanduhr ab und legte sie vor mich auf den Tisch.
Fünfundzwanzig Minuten nach elf zeigte sie.
Es kam nichts. Ich wartete eine Weile. Dann sagte ich:
»Sie haben alle Zeit, die Sie brauchen. Ich werde Sie nicht drängen oder unterbrechen.«
Anfangs hatte es mich verwundert.
Dass es so viele Menschen gab, die bereit waren, zweihundert Gulden die Stunde dafür zu zahlen, dass sie auf unserem abgenutzten Ledersofa liegen durften. Dort liegen und sich über ihre geplatzten Hoffnungen aussprechen, über ihre heruntergekommenen Träume und ihre jämmerlichen Ehepartner.
Aber das ist lange her. Jetzt reflektiere ich nicht mehr darüber. Ich sitze an meinem Platz hinter dem Schreibtisch, und mir ist klar, dass es für Frau Kumbach besser ist, herzukommen und zu erzählen, wie sie sich vorstellt, ihrem Mann, dem Oberlandesgerichtsrat, die Eier abzuschneiden, statt dass sie es wirklich tut ... Besser für Elias Morghetti, der einen Obstladen gleich unten in der Straße hat, einmal die Woche die Schuld dafür, dass sein einziger Sohn sich erhängt hat, auf sich zu nehmen, statt daheim vor dem Fernseher zu sitzen und die Kiefer aufeinander zu pressen, bis sie zerbrechen.
Ich verstehe – ich habe gelernt zu verstehen –, dass unsere Daseinsberechtigung groß ist, Walther Borgmanns und meine. Und dass wir richtig daran tun, dafür Geld zu nehmen.
Denn wer kauft schon seinen Seelenfrieden für ein Butterbrot und ein Ei, wenn man ihn für ein paar Hunderter haben kann?
Wie Walther immer zu sagen pflegt.
Aber wir feilschen nicht, und wir tragen den Trost nicht zu Markte. Doktor Borgmanns Praxis ist eine respektable Einrichtung, auch wenn nur die Hälfte von uns eine Lizenz hat. Die Leute kommen aus freien Stücken zu uns, und wenn sie uns verlassen, dann haben sie das bekommen, was sie haben wollten. Wir führen niemanden hinters Licht, selbst das Finanzamt kaum. Unsere Karten liegen offen da, und wer mit uns nicht zufrieden ist, der kann selbstverständlich woanders Hilfe suchen.
Nach anderem Trost. Anderen Schamanen.
Unsere Methode beruht in erster Linie darauf zu schweigen.
Der Klient redet, und wir schweigen. Wenn der Klient nicht reden will, warten wir auf ihn. Oder auf sie.
Das ist eine gute Methode. Selbstverständlich gehen wir nicht bis ins Absurde nach ihr vor.
Ich saß also da, malte Palmen und wartete, dass Frau Gisela Enn, geborene Delgado, anfangen würde zu reden. Meine Kopfschmerzen waren eine langsam anwachsende Wolke, und ich überlegte, ob es an der Zeit war, ihr etwas auf die Sprünge zu helfen ... manche Klienten bekommen Hemmungen, wenn sie allzu lange schweigend dagelegen haben, aber das ist natürlich von Fall zu Fall verschieden.
Und die Warnlampe leuchtete. Vorsicht.
Sie lag unbeweglich da. Hatte die Hände auf der Wolldecke gefaltet und schien auf den gleichen Fleck zu starren wie ich selbst vor einer halben Stunde. Nach einer Weile fragte ich:
»Möchten Sie ein Glas Selters?«
Ich sah ihr sofort an, dass ich sie beunruhigt hatte. Sie schluckte ein paar Mal, bevor sie herausbrachte:
»Ja, bitte. Wenn es nicht zu viel Mühe macht.«
Ich ging hinaus zum Kühlschrank. Als ich zurückkam, hatte sie sich auf dem Sofa aufgesetzt. Ich reichte ihr das Glas.
»Bitte.«
»Danke.«
Sie trank kleine Schlucke. Dann kam es.
»Ich glaube, ich werde jemanden töten.«
Sofort korrigierte sie sich.
»Nein, so ist es nicht. Entschuldigen Sie.«
Ich wartete.
»Ich habe einen Traum. Und in dem Traum, da werde ich ihn töten ...«
»Meinen Sie, dass Sie wirklich jemanden im Traum töten oder dass Sie es nur tun
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