Barins Dreieck
werden?«
»Ich werde es tun. Ich schaffe es nie. Wache immer vorher auf ...«
Ich hatte mehrere Fragen auf der Zunge, hielt mich aber zurück. Saß nur ruhig auf der Schreibtischkante und kostete von meinem Wasser. Sie tat das Gleiche, und dann stellten wir unsere Gläser ab.
»Darf ich mich wieder hinlegen?«
»Natürlich.«
Wieder wurde es still. Ich ging zurück zu meinem Stuhl und den Palmenzeichnungen. Nach ein paar Minuten wurde mir klar, dass sie eingeschlafen war.
Ich weckte sie, als die vereinbarte Stunde um war. Sie bedankte sich, bezahlte mein Honorar und bat um einen neuen Termin. Ich blätterte in unserem Kalender und gab ihr einen neuen Termin am kommenden Mittwoch.
Sobald sie mich verlassen hatte, stellte ich mich hinter die Gardine ans Fenster. Ich sah, wie sie die Straße überquerte und zu einem dunkelblauen Wagen ging, der auf der anderen Seite stand. Sie suchte eine Weile in der Handtasche nach den Schlüsseln, und auch nachdem sie diese gefunden hatte und auf den Fahrersitz gesunken war, hatte sie es nicht eilig. Es dauerte eine ganze Zeit, bevor ich sah, wie sie aus K. hinausfuhr.
Ich hängte meine Jacke hin und zog mir den Pullover über den Kopf. Dann rief ich daheim an, um zu hören, ob Kristine möglicherweise zurückgekommen war.
Aber das war sie nicht.
Als ich die Tür wieder hinter mir zuschlug, hatte ich das Gefühl, dass mein Leben in erster Linie einem grauen, trübsinnigen Matsch glich.
SONNTAG, 20. APRIL
I ch fuhr schon im Morgengrauen los, um rechtzeitig vor dem Mittagessen bei Janos und Lynn zu sein. Ein greifbares Ekelgefühl hing während des größten Teils der Fahrt über mir, brachte mich aber nicht dazu umzukehren. Ich fühlte mich eigentlich für alles ziemlich unempfänglich, so wie man es an manchen Tagen halt tut. Janos und die Zwillinge waren damit beschäftigt, den Zaun zu streichen, als ich ankam. Janos schien die eigentliche Arbeit auszuführen, während die Zwillinge in erster Linie versuchten, sich selbst anzupinseln. Nach ihren Händen und ihren Haaren zu urteilen, war ihnen das ziemlich gut gelungen.
Ich stieg aus dem Auto. Spürte, wie mir das Hemd am Rücken klebte. Janos klopfte seine Pfeife am Zaunpfosten aus.
»Verdammte Gören. Wie geht’s?«
»So lala.«
»So so ... viel Verkehr?«
»Nicht besonders. Bin über Kerran und Weid gefahren ... aber heiß, verdammt heiß.«
Janos kratzte sich an den Bartstoppeln.
»Du kannst vorm Essen noch ins Wasser springen. Ich glaube nicht, dass Lynn das Essen vor einer Stunde fertig hat.«
Er drückte den Deckel auf den Farbeimer und warf den Pinsel ins Gras. Wir gingen zusammen zum Haus.
»Hast du was gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Scheiße, was soll man dazu sagen?«
Ich sagte nichts. Lynn kam uns mit Wip, dem Jüngsten, auf den Hüften entgegen, die Zwillinge liefen ihr um die Beine. Ganz offensichtlich war sie wieder schwanger. In dem kräftigen Gegenlicht, das ihr rotes Haar glühen ließ, sah sie wie eine Art Fruchtbarkeitsgöttin aus.
Eine Sekunde lang fühlte ich heftigen Neid auf Janos. Dann kehrte der Ekel zurück, und ich wusste, dass ich unter keinen Umständen auf der Welt den Platz mit ihm würde tauschen wollen. Weder mit ihm noch mit sonst jemandem.
Am Nachmittag angelten wir ein paar Stunden, Janos und ich. Wir fuhren mit dem Boot hinaus und ankerten im Schutz der Schären. Die Sonne brannte, das Meer lag vollkommen spiegelblank da. Wir unterhielten uns, tranken Kaffee, und nicht ein einziger biss an. Alles in allem erschien es mir wie ein Sommertag in der Vorpubertät. So ein Tag, der sich durch das ganze Leben ziehen kann.
Wertbeständig wie ein vergoldeter Jahrmarktschip und Sinnbild dessen, wovon alles handelt, wenn es darauf ankommt.
Aber zu der Zeit, als wir zwölf Jahre alt waren, kannten wir einander noch nicht. Wohnten nicht einmal im gleichen Land. Also war es sicher nur eine Illusion.
»Du hast nicht vor, deinen Job zu wechseln?«
Gerade wollten wir zurückfahren. Ich dachte eine Weile nach. Vielleicht hatte ich sogar den Impuls, ihm zu erzählen, womit ich mich eigentlich beschäftigte, ja, ich denke schon. Seit drei Jahren arbeitete ich mit Walther zusammen, ohne dass jemand davon wusste. Nicht einmal Kristine. Das gehörte zu den Bedingungen. Ich durfte unter keinen Umständen etwas verlauten lassen, nicht einmal gegenüber meinen nächsten Angehörigen. Janos wie auch Lynn und alle anderen waren überzeugt davon, dass ich an einer
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