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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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gleichzeitig allgegenwärtig.
    »Ja, natürlich. Ich glaube, man sollte für seine bösen Taten bestraft werden ... und belohnt für die guten.«
    »Gut. Es ist gut, dass Sie mit mir einer Meinung sind, Herr Doktor.«
    Es wurde still. Judith bewegte sich ein wenig. Die Sonnenflecken tanzten über ihren Körper. Ich hob meine Teetasse hoch, um zu trinken, stellte sie aber wieder ab, als ich merkte, dass meine Hand zitterte.
     
     
D er plötzliche Schrei aufgescheuchter Vögel zerriss die Stille. Judith reagierte nicht, aber Gisela und ich lauschten und wandten unsere Aufmerksamkeit für einen Moment dem Park zu.
    Dann bürstete sie sich ein paar Brotkrümel vom Kleid und nahm den Faden wieder auf:
    »Lassen Sie mich die Frage anders stellen, Herr Doktor. Was glauben Sie? Was denken Sie, welche Strafe er bekommen hat?«
    Ich überlegte. Hatte nicht die geringste Ahnung. Und auch keine Lust, darauf zu antworten, aber sie wartete einfach ab.
    »Ich weiß es nicht, Frau Enn. Ich nehme an, das Wichtigste ist, dass er nicht wieder herauskommt ... aber ob nun Gefängnis oder geschlossene Psychiatrie? Nein, das weiß ich nicht.«
    »Sie meinen, er dürfte nicht wieder freikommen? Interessant, Herr Doktor, sehr interessant.«
    Wieder wartete sie ab. Es wurde mir immer klarer, dass sie darauf aus war, mich in irgendeiner Form an die Wand zu stellen. Ich hatte außerdem den Eindruck, als spräche die Stille gegen mich ... als wäre zu schweigen gleichbedeutend mit gestehen.
    Was gestehen?
    »Ich kann es natürlich nicht mit aller Sicherheit sagen«, versuchte ich es, »aber schließlich war er schon vorbestraft, und zwar einschlägig, nicht wahr?«
    »Woher wissen Sie das?«
    Die Frage kam wie ein Peitschenschlag. Ich musste einsehen, dass ich mich verplappert hatte ... Ich hatte nicht von meiner Fahrt nach Weill erzählt. Auch nicht von dem Besuch in der Mietskaserne. Und nicht von Frau Kleminska. Aber was spielte das auch für eine Rolle? Was für einen Unterschied machte es, wenn ich dieses oder jenes wusste?
    »Wer hat das gesagt, Doktor Borgmann? Dass er vorbestraft war.«
    Ich fummelte an meinem Zigarettenpäckchen herum. Sie beugte sich zu mir vor. Stützte die Ellbogen auf die Knie und musterte mich.
    Es gelang mir, eine Zigarette herauszuziehen und sie anzuzünden. Ich versuchte mich zu entspannen.
    »Ich denke ... dass Sie mir das erzählt haben.«
    »Nein, Herr Doktor, das habe ich nicht erzählt.«
    »Aber war es denn nicht so ... dass er schon einmal verurteilt worden war?«
    Sie antwortete nicht, doch ich konnte ihren Blick hinter den Gläsern spüren. Die Fragen türmten sich plötzlich in meinem Kopf auf. Warum saß ich hier? Worauf wollte sie hinaus? Was hatte das für eine Bedeutung, dass ich das wusste? Oder besser: Was glaubte Gisela Enn, was für eine Bedeutung es hatte?
    Und warum redete ich mir die ganze Zeit ein, dass ich ihr nichts von der Fahrt nach Weill erzählen durfte?
    Wir saßen einige Minuten lang schweigend da. Die Sonnenflecken spielten. Was zum Teufel tue ich hier?, dachte ich wieder. Gisela lehnte sich zurück. Ein kleiner Vogel, vermutlich ein Spatz, landete auf der Terrasse, nur einen halben Meter von Judiths Stuhl entfernt. Er schien uns eine Weile einen nach dem anderen zu betrachten, pickte dann ein paar Brotkrümel auf und flog wieder davon. Ich holte ein paar Mal tief Luft. Zumindest versuchte ich es.
    »Doch, ja«, sagte sie schließlich. »Sie haben vollkommen Recht. Natürlich hatte er früher schon ähnliche Dinge gemacht. . . erinnern Sie sich wirklich nicht, Doktor Borgmann? Fällt es Ihnen nicht ein?«
    Da begriff ich.
    Walther.
    Manchmal stelle ich fest, dass ich ein Idiot bin. Das ist jedes Mal wieder gleich schmerzhaft. Ich drückte die Zigarette aus und überlegte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis ich entlarvt war.
     
    »Marienhof. Kennen Sie das?«
    Ich nickte. Es hatte zu meinem Training bei Walther gehört, dass ich zumindest den Namen unserer größten Einrichtung für psychisch Kranke kannte.
    »Psychiatrische Betreuung in der geschlossenen Abteilung auf dem Marienhof. Das hat er gekriegt. Für unbestimmte Zeit. Nun?«
    »Nun?«
    »Finden Sie, dass es eine angemessen harte Strafe ist?«
    »...«
    »Sie antworten nicht, Herr Doktor. Nun ja, ich will Sie nicht drängen. Möchten Sie wissen, was ich davon halte ... was ich und mein Mann davon gehalten haben?«
    Ihre Stimme schien um eine halbe Oktave zu steigen, aber sie klang weiterhin ganz gesammelt.

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