Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
und stieß einen Triumphschrei aus. Er drehte sich langsam um und hielt dem leichenblassen Underwood etwas unter die Nase.
Nathanael wurde noch flauer.
Wie klein und unbedeutend das Amulett von Samarkand aussah, als es an der dünnen Goldkette zwischen Lovelace’ Fingern pendelte. Es schwang sanft hin und her und glitzerte im Lampenschein.
Lovelace lächelte. »Sieh mal einer an. Was haben wir denn da?« Underwood schüttelte verwirrt und ungläubig den Kopf. In diesem einen Augenblick schien er um Jahre gealtert. »Nein«, flüsterte er. »Das ist ein Trick… Sie wollen mich reinlegen…«
Lovelace sah ihn nicht einmal an. Er hatte nur Augen für seine Beute. »Ich begreife nicht, was Sie damit anfangen wollten«, sagte er. »Schon die Beschwörung dieses Bartimäus müsste Ihnen eigentlich Ihre Grenzen aufgezeigt haben.«
»Ich sage es noch einmal«, entgegnete Underwood matt, »ich habe nichts mit diesem Bartimäus zu tun, ich habe nichts mit Ihrem Schmuckstück zu tun, und ich habe keine Ahnung, wie es hierher kommt.«
Plötzlich vernahm Nathanael eine andere Stimme, eine hohe, zittrige Stimme – seine eigene.
»Das stimmt«, sagte er. »Ich habe es gestohlen. Ich bin der Schuldige.«
Die Stille, die dieser Behauptung folgte, dauerte fast fünf Sekunden. Die beiden Zauberer fuhren herum und starrten ihn mit offenen Mündern fassungslos an. Mr Underwoods Augenbrauen hoben sich, senkten sich, hoben sich abermals und drückten tiefste Bestürzung aus. Lovelace runzelte ungläubig die Stirn.
Nathanael nutzte die Gelegenheit und trat näher. »Ich war es«, wiederholte er, und seine Stimme klang jetzt, da er sich überwunden hatte, schon wieder etwas fester. »Er hat nichts damit zu tun. Lassen Sie ihn in Ruhe.«
Underwood schüttelte blinzelnd den Kopf und schien seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. Lovelace rührte sich nicht und heftete den Blick hinter der Brille auf Nathanael. Das Amulett von Samarkand schaukelte immer noch zwischen seinen Fingern.
Nathanaels Kehle war wie ausgedörrt. Er räusperte sich. Er wagte nicht, sich vorzustellen, was jetzt geschehen würde. Er hatte nicht weiter als bis zu seiner Beichte gedacht. Irgendwo im Zimmer lauerte sein Diener, demnach war er nicht völlig wehrlos. Er hoffte, dass ihm Bartimäus zu Hilfe käme, falls es nötig wurde.
Schließlich fand sein Meister die Sprache wieder: »Was redest du da für einen Unsinn, du Dummkopf? Du weißt ja überhaupt nicht, worum es geht. Verschwinde, und zwar sofort!« Ihm kam ein Gedanke. »Moment mal – wie bist du überhaupt aus der Abstellkammer rausgekommen?«
Lovelace’ skeptische Miene verzog sich plötzlich zu einem schiefen Lächeln. »Warten Sie, Arthur. Vielleicht sind Sie zu vorschnell.«
Für einen Moment zeigte Underwood wieder einen Anflug seiner üblichen Gereiztheit. »Das ist doch lächerlich! Dieser Grünschnabel kann den Diebstahl unmöglich begangen haben! Dazu hätte er erst mal an meinem Abwehrzauber vorbeikommen müssen, von Ihrem Sicherheitssystem ganz zu schweigen.«
»Und obendrein hätte er noch einen Dschinn der vierzehnten Ebene beschwören müssen«, murmelte Lovelace.
»Genau. Das ist doch abs-«, keuchte Underwood. Plötzlich leuchteten seine Augen auf. »Aber… vielleicht… ja ist das denn die Möglichkeit? Erst vorhin habe ich den Bengel mit einem Haufen Beschwörungsutensilien erwischt… In seinem Zimmer war Adelbrands Pentagramm auf den Boden gemalt, und auf dem Bett lagen ein paar anspruchsvolle Zauberbücher, darunter Das Vermächtnis des Ptolemäus. Ich habe natürlich angenommen, er hätte sich überschätzt und die Beschwörung wäre fehlgeschlagen… Wenn ich mich nun geirrt habe?«
Simon Lovelace schwieg. Er ließ Nathanael nicht aus den Augen.
»Es ist noch nicht mal eine Stunde her«, fuhr Underwood fort, »da habe ich ihn ertappt, wie er mich mithilfe eines Zauberspiegels in meinem Arbeitszimmer beobachtet hat. Von mir hatte er den nicht. Wenn er einen Spiegel bedienen kann, wer weiß, wozu er noch alles imstande ist?«
»Trotzdem«, sagte Lovelace leise. »Weshalb sollte er mich bestehlen?«
Am Verhalten seines Meisters merkte Nathanael, dass der Alte den wahren Wert des Amuletts nicht kannte. Er begriff, dass er diesen Umstand für sich nutzen konnte. Würde Lovelace auch ihm abnehmen, dass er ahnungslos war? Nathanael sprach schnell und gab sich Mühe, möglichst naiv zu klingen. »Es war nur ein dummer Streich, Sir«, sagte er. »Ein Jux. Ich wollte Ihnen
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