Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Dach.«
Er murmelte etwas wie: »Mein Meister…«
»Der ist tot«, entgegnete ich. »Ein Happs und weg war er, schätze ich.« Klartext war immer noch das Beste.
»Aber Mrs Underwood…«
»Der ist es genauso ergangen. Du kannst nichts mehr für sie tun.«
Worauf der Dummkopf, man hält es nicht für möglich, strampelte und mit seinen schwächlichen Fäusten auf mir herumtrommelte. »Nein!«, kreischte er. »Es ist meine Schuld! Ich muss zu ihr…!« Er wand sich wie ein Aal und entglitt meinem Griff. Beinahe hätte er sich über das Geländer und direkt in Jabors ausgebreitete Arme gestürzt, doch ich packte ihn mit einem deftigen Fluch 81
(Keine Sorge – ich fluchte auf Altbabylonisch. Der Junge hätte die Anspielungen sowieso nicht verstanden)
am Ohr und beförderte ihn die Treppe hoch.
»Hör auf herumzuhampeln!«, fuhr ich ihn an. »Hast du heute nicht schon genug angestellt?«
»Aber Mrs Underwood…«
»…würde bestimmt nicht wollen, dass du auch noch mit draufgehst«, behauptete ich auf gut Glück. 82
(Ohne große Überzeugung. Sein Wunsch kam mir durchaus vernünftig vor.)
»Stimmt schon, du bist an allem schuld, aber…äh… nimm’s dir nicht so zu Herzen. Das Leben geht weiter… und…äh… Ach, ist ja auch schnurz.« Mir gingen die Ideen 83
(Diese Sorte Psychologie ist nicht meine Stärke. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was in den meisten Menschen vorgeht, und es ist mir auch herzlich gleichgültig. Zauberer sind leichter einzuschätzen: Man unterscheidet im Allgemeinen drei Kategorien: besessen von Ehrgeiz, von Habgier oder von Verfolgungswahn. Nach dem, was ich mitbekommen hatte, gehörte Underwood beispielsweise zur dritten Kategorie. Und Lovelace? Klarer Fall – sein Ehrgeiz stank zum Himmel. Auch der Bengel gehörte zum ehrgeizigen Typus, aber er war noch jung und sein Charakter noch nicht endgültig festgelegt. Daher dieser alberne Anfall von Selbstlosigkeit. )
aus.
Ob es nun an meinen Lebensweisheiten lag oder nicht, jedenfalls wehrte sich der Junge nicht mehr. Ich schlang den Arm um seine Schultern und schleifte ihn halb fliegend, halb laufend die Treppe hinauf. Wir erreichten den zweiten Stock und machten uns an den Aufstieg zum Dachboden. Dicht hinter uns knackten und splitterten die Stufen unter Jabors Tritten.
Als wir oben waren, hatte sich mein Herr wieder so weit im Griff, dass er meine Hilfe kaum noch benötigte. Und so erreichten wir die Dachkammer wie das letzte Pärchen beim Dreibein-Lauf, das es unter den anfeuernden Rufen der wohlmeinenden Zuschauer mit Ach und Krach über die Ziellinie schafft. Immerhin waren wir noch am Leben, das war doch schon mal was.
»Durchs Fenster!«, befahl ich. »Wir müssen aufs Dach!« Ich schob Nathanael quer durchs Zimmer und stieß die Dachluke auf. Kalte Luft schlug mir entgegen. Ich flog durch die Öffnung, kniete mich aufs Dach und streckte die Tatze ins Zimmer. »Los«, kommandierte ich. »Raus da!«
Doch zu meiner Verblüffung zögerte der verflixte Bengel. Er schlurfte zum Bett, bückte sich und hob etwas auf – seinen Zauberspiegel. Also ehrlich! Den heißen Atem des Schakals schon im Nacken, hatte er noch die Nerven für so was! Schließlich kam er zum Fenster gelatscht. Sein Gesicht war immer noch völlig ausdruckslos.
Eine gute Eigenschaft hatte Jabor wenigstens – er war langsam. Es dauerte seine Zeit, bevor er die Treppenstufen gemeistert hatte. Faquarl hätte uns, bis wir oben angekommen wären, längst überholt, das Dachfenster verriegelt und vielleicht sogar mit einem schönen neuen Rollladen ausgestattet. Aber mein Herr bewegte sich so lahmarschig, dass er gerade mal in meine Reichweite gekommen war, als Jabor schließlich auf der obersten Treppenstufe erschien. Er sprühte Funken und steckte das Gebälk um sich herum in Brand, dann sah er den Jungen und kam mit erhobener Hand auf uns zu.
Und rumste mit der Birne voll gegen den niedrigen Türsturz.
Das verschaffte mir den rettenden Vorsprung. Ich ließ den Oberkörper durch die Luke hinunter, hielt mich wie ein Klammeraffe mit den Füßen fest, klemmte mir den Jungen unter den Arm und hievte mich wieder nach draußen. Eng umschlungen plumpsten wir rücklings auf die Ziegel, als im selben Moment eine Flammengarbe aus dem Dachfenster schoss. Das ganze Haus wackelte.
Wäre es nach ihm gegangen, hätte der Junge wahrscheinlich die ganze Nacht dort gelegen und mit glasigen Augen die Sterne angeglotzt. Er stand offenbar unter Schock. Vermutlich hatte noch
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