Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Kälte zu spüren, starrte er nach unten auf die belebte Straße. Sobald er die Augen schloss, sah er flackernde weiße Schemen tanzen – sah wieder die Flammen…
Mrs Underwood war…
Nathanael holte tief und zitternd Luft, vergrub die Hände in den Hosentaschen und berührte die glatte Bronzescheibe. Sofort zog er die Hand wieder heraus. Er zitterte am ganzen Leib, so sehr fror er, und auch sein Verstand war wie eingefroren.
Sein Meister… Nathanael hatte alles versucht, um ihn zu retten. Aber sie… er hätte sie warnen müssen, hätte sie aus dem Haus bringen sollen, bevor das alles passierte. Stattdessen hatte er…
Er musste nachdenken. Er durfte jetzt nicht… Er musste darüber nachdenken, was er jetzt machen sollte, sonst war es aus mit ihm.
Die halbe Nacht war er wie ein Verrückter mit leerem Blick und offenem Mund durch die Gärten und Gassen von Nordlondon gerannt. Er erinnerte sich nur noch an eine nicht enden wollende Folge von Spurts und Sprints, mal im Dunkeln, mal im Licht der Straßenlaternen, an unzählige Mauern und Zäune, die es zu überwinden, an geflüsterte Befehle, die es zu befolgen galt. Er spürte die kalten Ziegelmauern, an die er sich gedrückt, und die Hecken, durch die er sich gezwängt hatte, zerstochen, zerschrammt und nass bis auf die Haut. Er hatte hinter einem Komposthaufen gehockt, stundenlang, wie ihm schien, und die Wange an den vergammelten Abfall geschmiegt, bis der Dschinn Entwarnung gegeben hatte. Alles kam ihm so unwirklich vor wie ein Traum.
Auf der Flucht hatte er immer wieder Underwoods entsetztes Gesicht vor sich gesehen und den Schakalkopf, der sich aus den Flammen erhob. Auch das war ihm ganz unwirklich vorgekommen. Wie ein Traum in einem Traum.
Dass sie verfolgt wurden, war ihm entfallen, obwohl sie manchmal nur knapp entkommen waren. Das Summen einer Suchkugel, ein eigenartiger chemischer Geruch… Das war alles, woran er sich noch erinnerte, bis sie schließlich kurz vor Sonnenaufgang in einem Labyrinth von engen Straßen mit schmalen roten Backsteinhäusern untergetaucht waren und schließlich dieses leer stehende, mit Brettern vernagelte Gebäude entdeckt hatten.
Hier war er erst einmal in Sicherheit. Hier konnte er über alles nachdenken, sich überlegen, was als Nächstes zu tun war…
Aber Mrs Underwood…
»Ziemlich frisch, was?«, sagte jemand.
Nathanael drehte sich um. Der Junge, der kein Junge war, stand in dem leeren Zimmer und sah ihn mit strahlenden Augen an. Er hatte seine Erscheinung mit Winterkleidung ausstaffiert: Fleecejacke, neue Jeans, derbe braune Schuhe, Wollmütze, alles schön warm. »Du zitterst«, stellte er fest. »Du bist aber für die Jahreszeit auch nicht grade passend angezogen. Was hast du unter dem Pullover an? Wahrscheinlich bloß ein Hemd. Und deine schicken Schühchen sind bestimmt total durchgeweicht.«
Nathanael hörte ihn kaum. Er war mit den Gedanken ganz woanders.
»Du solltest hier drin lieber nicht halb nackt rumlaufen«, fuhr der Junge fort. »Hier sieht’s vielleicht aus! Risse in den Wänden und ein Loch in der Decke. Man könnte genauso gut draußen sein. Brrrr!«
Das Zimmer lag im obersten Stock eines Gebäudes, das anscheinend früher eine öffentliche Einrichtung beherbergt hatte. Es war ein großer, karger Raum, dessen ehemals weiß gestrichene Wände fleckig und mit grünem Schimmel überzogen waren. An der einen Wand standen leere, mit Staub, Schmutz und Vogelmist bedeckte Regalreihen, und in den Ecken stapelten sich trostlose Bretterhaufen, die einst Tische und Stühle gewesen sein mochten. Die hohen Fenster gingen zur Straße hinaus und eine breite Marmortreppe führte nach unten. Es roch modrig.
Der Junge sah ihn von der Seite an. »Soll ich was gegen die Kälte unternehmen? Brauchst nur was zu sagen.«
Nathanael gab ihm keine Antwort. Sein Atem erzeugte kleine Dampfwolken.
Der Dschinn trat näher. »Ich könnte ein Feuer machen«, schlug er vor. »Ein schönes warmes Feuer. Überhaupt kein Problem, dieses Element habe ich prima im Griff. Da!« Ein Flämmchen flackerte in seiner Handfläche. »Das ganze Holz da verfault doch sowieso bloß. Was das hier wohl mal war? Vielleicht eine Bücherei? Könnte gut sein. Aber heutzutage ist man wohl dagegen, dass die Gewöhnlichen zu viel lesen, stimmt’s? Meistens jedenfalls.« Die Flamme wurde ein bisschen größer. »Ein Wort genügt, mein Herr und Gebieter. Ich würde es als kleinen Gefallen unter Freunden betrachten.«
Nathanael klapperte mit
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