Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Bericht von der italienischen Front. Er war drei Spalten lang. Darin wurde mit Bedauern der Tod des Ministers für Innere Angelegenheiten Arthur Underwood und seiner Frau Martha vermeldet, die bei einem verheerenden Hausbrand ums Leben gekommen seien. Das Feuer sei gegen 22 Uhr 15 ausgebrochen und habe erst drei Stunden später von Feuerwehr und Notdienst-Magiern gänzlich gelöscht werden können; bis dahin sei das Gebäude völlig ausgebrannt gewesen. Zwei benachbarte Häuser seien schwer in Mitleidenschaft gezogen, ihre Bewohner sicherheitshalber evakuiert worden. Die Brandursache sei unbekannt, doch die Polizei suche dringend nach Mr Underwoods Gehilfen, einem gewissen John Mandrake, 12 Jahre alt, dessen Leiche nicht gefunden worden sei. Laut mehreren etwas unklaren Aussagen habe man gesehen, wie er vom Brandort geflohen sei. Mandrake gelte als nicht sehr gefestigter Charakter und habe im Vorjahr mehrere hochrangige Magier tätlich angegriffen. Die Öffentlichkeit werde gebeten, sich ihm nur mit Vorsicht zu nähern. Mr Underwoods Tod, so schloss der Artikel, sei für die Regierung ein bedauerlicher Verlust. Underwood habe dem Staat jahrelang treu gedient und viele wichtige Beiträge geleistet, die näher auszuführen jedoch an dieser Stelle der Platz fehle.
Nathanael saß unter dem Fenster. Er ließ die Zeitung fallen. Das Kinn sank ihm auf die Brust und er schloss die Augen. Schwarz auf weiß zu sehen, was er ohnehin schon wusste, traf ihn wie ein neuerlicher Schlag. Ihm wurde schwindlig, und er wollte weinen, doch wieder einmal war ihm diese Erleichterung nicht vergönnt. Es hatte keinen Zweck. Er war einfach zu müde. Er wollte nur noch schlafen…
Jemand stieß ihn unsanft mit der Schuhspitze an. Er fuhr zusammen und wachte auf.
Vor ihm stand der grinsende Dschinn, in der Hand eine Papiertüte, aus der es viel versprechend dampfte. Sofort siegte der Heißhunger über Nathanaels vornehme Zurückhaltung – er riss dem Dämon die Tüte förmlich aus der Hand und hätte sich dabei fast einen Styroporbecher mit Kaffee über den Schoß gekippt. Zu seiner Erleichterung fanden sich unter dem Becher zwei sorgfältig verpackte, fettdichte Pappschachteln, die jeweils ein mit Salat und einer warmen Frikadelle belegtes Brötchen enthielten. Nathanael kam es vor, als hätte er noch nie im Leben etwas auch nur halb so Gutes gegessen. Im Nu waren beide Brötchen verputzt und er balancierte schnaufend den Kaffeebecher in den halb erfrorenen Händen.
»Fütterung der Raubtiere«, kommentierte der Dschinn.
Nathanael schlürfte seinen Kaffee. »Wo hast du das her?«
»Geklaut. Hab’s mir in einem Feinkostladen einpacken lassen und bin dann damit abgehauen, als der Mann zur Kasse gegangen ist. War ganz leicht. Er hat die Polizei gerufen.«
Nathanael stöhnte. »Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Keine Bange. Die suchen nach einer großen blonden Frau mit Pelzmantel. Übrigens«, er zeigte auf einen kleinen Hügel auf dem schuttbedeckten Fußboden, »da sind ein paar wärmere Klamotten. Hose, Mantel, Handschuhe und was für den Kopf. Ich hoffe, es passt. Ich hab die kleinste Größe genommen, die es gab.«
Kurz darauf war Nathanael satt und umgezogen und fühlte sich allmählich wieder wie ein Mensch. Er setzte sich ans Feuer und wärmte sich auf. Der Dschinn hockte sich neben ihn und blickte in die Flammen.
»Man hält mich für den Täter.« Nathanael zeigte auf die Zeitung.
»Hast du was anderes erwartet? Lovelace wird sich kaum freiwillig stellen. So dämlich ist kein Zauberer.« Bartimäus blickte ihn viel sagend an. »Lovelace hat den Brand doch überhaupt nur gelegt, um alle Spuren seines Besuchs zu verwischen. Und da er es nicht geschafft hat, dich umzubringen, schiebt er dir wenigstens die Schuld in die Schuhe.«
»Ich werde polizeilich gesucht.«
»Genau. Jetzt wirst du von zwei Seiten gejagt: von der Polizei und von Lovelace. Der hat bestimmt seine sämtlichen Späher auf dich angesetzt. Du steckst ganz schön in der Klemme. Genau das will er – dass du immer auf der Flucht bist, dich niemandem anvertrauen kannst und ihm nicht noch mal in die Suppe spuckst.«
Nathanael knirschte mit den Zähnen. »Das werden wir ja sehen. Was hältst du davon, wenn ich selber zur Polizei gehe? Die könnten doch bei Lovelace eine Hausdurchsuchung machen. Und wenn sie dann das Amulett finden…«
»Glaubst du, die hören auf dich? Du bist ein polizeilich gesuchter, hoch gefährlicher Mann. ›Mann‹ ist natürlich nur
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