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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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zerspringen. »Ich brauch deine Ratschläge nicht!« Er erhob sich schwankend und funkelte den Dschinn wütend an. Mit seinem Geschwätz hatte der Dämon seinen Kummer und seine Erschöpfung verscheucht, und eine lang unterdrückte Wut brach sich plötzlich Bahn, die von einer Mischung aus Schuldgefühl, Erschütterung und Todesangst herrührte. Lovelace hatte behauptet, so etwas wie Rechtschaffenheit gäbe es nicht und ein Zauberer handle ausschließlich aus Selbstsucht. Na schön, Nathanael würde ihn beim Wort nehmen. Ein Fehler wie der gestrige würde ihm nie wieder unterlaufen.
    Doch auch Lovelace hatte einen Fehler gemacht. Er hatte seinen Gegner unterschätzt. Er hatte Nathanael für schwach gehalten und versucht, ihn zu töten. Und Nathanael war am Leben geblieben.
    »Ich soll einfach abhauen?«, schrie er. »Niemals! Lovelace hat den einzigen Menschen umgebracht, der je gut zu mir war…« Seine Stimme stockte, doch seine Augen blieben nach wie vor tränenlos.
    »Underwood? Du machst Witze! Der konnte dich nicht ausstehen! Ich kann’s ihm nicht verübeln.«
    »Ich spreche von Mrs Underwood. Ich fordere Gerechtigkeit. Lovelace soll für seine Freveltat büßen.«
    Der Dschinn schnaubte verächtlich, was die Wirkung dieser hehren Worte ein wenig schmälerte. Er stand auf und schüttelte bedauernd und ein wenig herablassend den Kopf wie ein weiser alter Mann. »Dir geht es nicht um Gerechtigkeit, Kleiner. Du sehnst dich nach Vergessen. Gestern Abend ist deine ganze Welt zu Asche verbrannt und jetzt hast du nichts mehr zu verlieren. Ich weiß genau, was in dir vorgeht: Du willst in einen flammenden Kreuzzug gegen Lovelace ziehen.«
    »Nein. Ich will Gerechtigkeit.«
    Der Dschinn lachte. »Für dich wäre es das Allereinfachste, deinem Meister und seiner Frau ins Reich des Todes nachzufolgen – viel einfacher, als noch mal ganz von vorn anzufangen. Du lässt dich von deinem Stolz verleiten und der führt dich ins Verderben. Hast du aus gestern überhaupt nichts gelernt? Du bist Lovelace nicht gewachsen, Nat. Gib’s auf.«
    »Kommt nicht infrage.«
    »Du bist nicht mal mehr ein richtiger Zauberer.« Der Dschinn wies auf die bröckelnden Wände. »Sieh dich doch um, wo wir gelandet sind! Das hier ist kein gemütliches Häuschen voller Papiere und Bücher. Wo sind die Kerzen? Wo ist das ganze Räucherwerk? Wo ist die Behaglichkeit? Ob es dir passt oder nicht, du hast alles verloren, was einen Zauberer ausmacht, Nathanael. Wohlstand, Schutz, Selbstachtung, einen Meister… Mal ehrlich: Du hast überhaupt nichts mehr.«
    »Ich habe immer noch meinen Zauberspiegel«, widersprach Nathanael. »Und dich natürlich.« Dann hockte er sich rasch wieder ans Feuer. Im Zimmer war es immer noch eiskalt.
    »Ach ja, gut, dass du darauf zu sprechen kommst.« Der Dschinn scharrte mit dem Fuß den Schutt auf dem Boden beiseite. »Wenn du dich wieder eingekriegt hast, besorg ich dir ein Stück Kreide. Dann kannst du gleich hier einen Kreis aufmalen und mich entlassen.«
    Nathanael sah ihn erstaunt an.
    »Ich habe meinen Auftrag ausgeführt«, fuhr der dunkelhäutige Junge fort. »Und nicht nur das. Ich habe Lovelace nachspioniert und dir ausführlich Bericht erstattet. Ich habe für dich herausgefunden, was es mit dem Amulett auf sich hat. Und ich habe dir das Leben gerettet.«
    Nathanaels Kopf fühlte sich an wie Watte.
    »Bitte keine übertriebenen Dankesbezeigungen!«, fuhr der Junge fort. »Das wäre mir bloß peinlich. Es reicht völlig, wenn du mir ein Pentagramm malst.«
    »Nein«, sagte Nathanael. »Noch nicht.«
    »Wie bitte?«, erwiderte der Junge. »Ich hör wohl schlecht? Wahrscheinlich eine Spätfolge der dramatischen Rettungsaktion, die ich gestern Abend durchgezogen habe. Ich hab tatsächlich gedacht, du hättest grade ›nein‹ gesagt.«
    »Hab ich auch. Ich entlasse dich nicht. Noch nicht.«
    Eine bedrückende Stille trat ein. Nathanael sah das kleine Feuer allmählich erlöschen, als würde es von unten durch den Fußboden gesogen. Dann ging es ganz aus. Mit leisem Knistern überzog eine Eisschicht die Holzreste, die eben noch so fröhlich gebrannt hatten. Die Kälte schnitt ihm in die Haut. Sein Atem ging schwer und seine Lungen schmerzten.
    Er erhob sich wankend. »Hör auf damit!«, keuchte er. »Mach das Feuer wieder an!«
    Der Dschinn warf ihm einen hinterhältigen Blick zu. »Ich meine es nur gut mit dir«, erklärte er. »Mir ist eben aufgefallen, wie taktlos ich war. Bestimmt kannst du kein Feuer mehr

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