Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Ruhe…« Fred streckte seine große Hand aus und packte ihn am Ärmel. »Wieso hast du’s denn so eilig? Die Ausgangssperre hat noch nich mal angefangen.«
»Finger weg! Lass mich los!« Nathanael versuchte, sich loszureißen. Seine Stimme klang gequetscht und piepsig.
Der Zeitungsjunge gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. »Keine Panik. Wir wolln keinen Streit. Oder sehn wir etwa wie Zauberer aus? Na also. Wir wolln dir bloß ein paar Fragen stellen, stimmt’s, Fred?«
»Stimmt.« Fred schien gar nichts Besonderes zu machen, doch Nathanael fand sich plötzlich ein Stück tiefer in die Gasse hineingezogen, wo man sie vom Gasthaus aus nicht mehr sehen konnte. Er gab sich Mühe, seine wachsende Angst zu unterdrücken.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte er. »Ich habe kein Geld.«
Der Zeitungsjunge lachte. »Wir wolln dich nich abziehn, Kumpel. Hab doch schon gesagt, wir wolln dir bloß’n paar Fragen stellen. Wie heißt du?«
Nathanael schluckte. »Äh… John Lutyens.«
»Lutt-yens? Cooler Name. Und was machst du hier, John? Wo wohnst du?«
»Äh… in Highgate.« Kaum hatte er es ausgesprochen, wusste er, dass es ein Fehler war.
Fred pfiff anerkennend. Der Zeitungsjunge sagte mit höflicher Skepsis: »Sehr schön. Da wohnen ’ne Menge Zauberer. Bist du auch einer von denen?«
»Nein.«
»Und was is mit deinem Freund?«
Nathanael stutzte. »Mein… mein Freund?«
»Der gut aussehende dunkelhäutige Typ, mit dem du heut Morgen unterwegs gewesen bist.«
»Der? Gut aussehend? Den hab ich bloß zufällig getroffen. Keine Ahnung, wo er hin ist.«
»Und wo hast du die neuen Klamotten her?«
Jetzt hatte Nathanael genug. »Ist das ein Verhör oder was?«, blaffte er. »Ich brauche eure Fragen überhaupt nicht zu beantworten. Lasst mich in Ruhe!« Er fand ansatzweise zu seiner vorigen Überheblichkeit zurück. Er hatte nicht vor, sich von zwei dahergelaufenen Gewöhnlichen ausfragen zu lassen– die Situation war einfach absurd!
»Reg dich ab«, sagte der Zeitungsjunge beschwichtigend. »Uns geht’s nur um dich. Und um das, was du in der Manteltasche hast.«
Nathanael stutzte. Abgesehen von seinem Zauberspiegel trug er nichts bei sich, und er war sich ganz sicher, dass niemand gesehen hatte, wie er ihn benutzte. Er hatte den Spiegel ausschließlich in der Bücherei herausgeholt. »In meiner Manteltasche? Die ist leer.«
»O nein«, meinte Fred. »Frag Stanley. Stimmt doch, Stanley?«
Der Zeitungsjunge nickte. »Jau.«
»Wenn er sagt, er hätte was gesehen, lügt er.«
»Nö–gesehn hab ich nix«, bestätigte der Zeitungsjunge.
Nathanael runzelte die Stirn. »Das ist doch alles Blödsinn. Und jetzt lasst mich bitte endlich gehen.« Es war nicht zum Aushalten! Wenn bloß Bartimäus da gewesen wäre, dann hätte er diesen Gewöhnlichen Manieren beigebracht.
Fred warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Hey, Stanley, die Ausgangssperre fängt gleich an. Soll ich’s ihm abnehmen?«
Der Zeitungsjunge seufzte. »Hör mal, John«, sagte er geduldig. »Wir wolln nur sehn, was du geklaut hast, sonst nix. Wir sind keine Bullen und keine Zauberer, du brauchst also nicht lange drumrum zu reden. Und wer weiß, vielleicht springt für dich ja auch was dabei raus. Was hast du überhaupt damit gewollt? Wolltest du’s selber benutzen? Na komm schon, zeig uns einfach, was du in der linken Manteltasche hast. Sonst muss ich meinen Kumpel Fred bemühen.«
Nathanael erkannte, dass er keine Wahl hatte. Wortlos zog er die Scheibe aus der Tasche und händigte sie den beiden aus.
Im Licht seiner Laterne untersuchte der Zeitungsjunge den Zauberspiegel gründlich von beiden Seiten.
»Was meinste dazu, Stanley?«, fragte Fred.
»Der is neu«, sagte der andere schließlich. »Primitives Teil. Wahrscheinlich selber gemacht. Nix Dolles, aber allemal was wert.« Er reichte die Scheibe an seinen Freund weiter.
Nathanael kam plötzlich ein Verdacht. Die Minister waren beunruhigt, weil in letzter Zeit immer mehr magische Gegenstände gestohlen wurden. Devereaux hatte diese Tatsache in seiner Rede erwähnt und nach dem Attentat im Parlament hatte Mr Underwood die Diebstähle mit der geheimnisvollen Widerstandsbewegung in Verbindung gebracht. Man ging allgemein davon aus, dass Gewöhnliche die Diebstähle verübten und die magischen Gegenstände anschließend Feinden der Regierung zum Kauf anboten… Nathanael sah wieder die Elementenkugel und den Jungen mit dem wirren Blick auf der Terrasse von Westminster
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