Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
das wäre zu viel verlangt gewesen, fürs Erste reichte mir sein offizieller Name. 26
(Jeder Zauberer hat zwei Namen, einen offiziellen Namen und einen Geburtsnamen. Den Geburtsnamen bekommt er von seinen Eltern, und weil er eng mit seinem wahren Wesen verbunden ist, ist er der Ursprung großer Kraft und großer Schwäche zugleich. Zauberer versuchen, ihren Geburtsnamen absolut geheim zu halten, denn sobald ein Feind ihn erfährt, kann er oder sie mithilfe dieses Namens Macht über denjenigen erlangen, ähnlich wie ein Zauberer einen Dschinn nur beschwören kann, wenn er dessen richtigen Namen kennt. Daher verschweigen Zauberer ihren Geburtsnamen unter allen Umständen und ersetzen ihn, sobald sie mündig werden, durch einen offiziellen Namen. Es ist immer nützlich, den offiziellen Namen eines Zauberers zu wissen – aber es ist noch viel besser, dessen geheimen Namen herauszukriegen.)
Aber ich hatte kein Glück. Das privateste, persönlichste, verräterischste Möbel im Zimmer – der Schreibtisch – war sorgsam mit einem dicken schwarzen Tuch verhüllt. Der Schrank in der Ecke war geschlossen, ebenso die Kommode. Mitten in dem Wald aus Kerzen stand eine angeschlagene Glasvase mit frischen Blumen – was mir komisch vorkam. Er hatte sie bestimmt nicht selbst dort hingestellt. Das musste bedeuten, dass sich irgendjemand liebevoll um ihn kümmerte.
Der Junge fuhr mit der Hand über den Zauberspiegel und die Oberfläche wurde stumpf. Er steckte die Metallscheibe wieder in die Tasche, dann blickte er plötzlich zu mir auf. Au weia. Jetzt kam’s.
»Bartimäus«, fing er an, »ich befehle dir, das Amulett von Samarkand im Magazin des Zauberers Arthur Underwood zu verstecken, und zwar so, dass er es nicht findet und dich niemand, weder Mensch noch Geist, weder auf dieser noch auf irgendeiner anderen Ebene, kommen und gehen sieht. Des Weiteren befehle ich dir, anschließend ungehört und ungesehen zu mir zurückzukehren und meine nächsten Befehle zu erwarten.«
Das haspelte er alles ohne Luft zu holen herunter, sodass er ganz blau im Gesicht wurde. 27
(Unbedingt empfehlenswert, wenn man es mit einem intelligenten, mit allen Wassern gewaschenen Wesen wie mir zu tun hat. Eine Atempause lässt sich leicht als Satzende auslegen, was entweder die Bedeutung des Befehls verändert oder ihn gar in sinnloses Kauderwelsch verwandelt. Wenn wir etwas zu unseren Gunsten missverstehen können, tun wir das meistens auch. )
Ich funkelte ihn unter meinen Steinbrauen finster an. »Meinetwegen. Und wo wohnt dieser bedauernswerte Zauberer?«
Der Junge lächelte flüchtig. »Unten im Haus.«
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Unten im Haus… Na, das war ja eine Überraschung. »Deinen Meister reinlegen, hm? Sehr ungezogen, so was!«
»Ich will ihn nicht reinlegen. Ich will das Amulett bloß irgendwo aufbewahren, wo es durch Sicherheitsmaßnahmen geschützt ist und es niemand findet.«
Er unterbrach sich.
»Und wenn doch…«
»Dann bist du aus dem Schneider. Typisch Zauberer. Du lernst offenbar schnell.«
»Niemand wird es finden.«
»Glaubst du? Da bin ich aber gespannt.«
Aber wie auch immer, ich konnte nicht den ganzen Tag dort auf der Stelle schweben und Schwätzchen halten. Ich versah das Amulett mit einem Zauber, der es vorübergehend schrumpfen ließ und ihm das Aussehen eines losen Spinnfadens verlieh, dann verzog ich mich durch ein Astloch in der nächstbesten Diele, schlängelte mich als Rauchwölkchen durch den Zwischenboden und kroch, als Spinne getarnt, durch eine Deckenritze in den darunter liegenden Raum.
Es war ein leeres Badezimmer. Die Tür stand offen, und ich krabbelte, so schnell mich meine acht Beine trugen, über den Deckenputz darauf zu. Vor lauter Empörung über die Unverfrorenheit des Jungen mahlte ich mit den Fresswerkzeugen.
Einen anderen Zauberer hereinlegen – schön, so was kam vor. Das gehörte einfach dazu, lag in der Natur der Sache. 28
(Von allen Berufsgruppen, die es gibt, Anwälte und Universitätsdozenten eingeschlossen, sind Zauberer die intriganteste, neidischste und doppelzüngigste Fraktion. Sie sind süchtig nach Macht und Einfluss und nehmen jede Gelegenheit wahr, ihren Rivalen eins auszuwischen. Grob geschätzt dienen etwa 80 Prozent aller Beschwörungen dem Zweck, einen Kollegen übers Ohr zu hauen oder sich seiner Angriffe zu erwehren. Im Gegensatz dazu haben die meisten Auseinandersetzungen zwischen Geistern keine persönlichen Gründe, ganz einfach deshalb, weil sie nicht aus freiem Willen stattfinden.
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