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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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der Treppe entlangkrabbelte, als mir ganz unerwartet der Junge entgegenkam. Er ging hinter der Frau des Zauberers die Treppe hinunter und machte einen ausgesprochen verdrossenen Eindruck. Offenbar war er soeben aus seinem Zimmer nach unten gerufen worden.
    Mit einem Schlag war ich hellwach. Der Junge befand sich in einer Zwickmühle, und ich sah seinem Gesicht an, dass er sich dessen bewusst war. Er wusste, dass ich im Haus unterwegs war und irgendwo in der Nähe sein musste. Er wusste, dass ich zurückkommen würde, da mein Auftrag beinhaltete, ›anschließend ungehört und ungesehen zurückzukehren‹ und seine ›nächsten Befehle zu erwarten‹. Er wusste auch, dass ich ihm möglicherweise folgte, dass ich Augen und Ohren offen hielt, um mehr über ihn zu erfahren, und dass er nicht das Geringste dagegen unternehmen konnte, bevor er nicht wieder in seinem Zimmer war und in seinem Pentagramm stand.
    Kurz gesagt, er hatte die Kontrolle über die Situation verloren und das ist immer bedenklich für einen Zauberer.
    Neugierig machte ich kehrt. Gemäß meinem Auftrag sah und hörte mich niemand, als ich hinter den beiden herkrabbelte.
    Die Frau führte den Jungen vor eine Tür im Erdgeschoss. »Er ist da drin, mein Lieber«, sagte sie.
    »Danke«, sagte der Junge. Seine Stimme war gehorsam und kleinlaut, so wie ich es mag.
    Die beiden traten ein, erst die Frau, dann der Junge. Die Tür fiel so schnell wieder zu, dass ich blitzartig eine Salve Spinnfäden abschießen musste, um mich daran in letzter Sekunde durch den Spalt zu schwingen. Es war ein tollkühnes Bravourstückchen, nur hatte es leider wieder niemand mitbekommen. Aber ich hatte ja gewisse Auflagen zu erfüllen: ›ungehört und ungesehen‹.
    Wir befanden uns in einem düsteren Esszimmer. Arthur Underwood saß allein am Kopfende eines dunklen, polierten Esstisches, Kaffeetasse und silberne Kaffeekanne in Reichweite. Er war immer noch mit seiner Zeitung beschäftigt, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Als die Frau und der Junge eintraten, blätterte er raschelnd eine Seite um und faltete die Zeitung wieder. Er sah nicht einmal auf.
    Die Frau blieb zögernd vor dem Tisch stehen. »Arthur – Nathanael ist da«, sagte sie.
    Die Spinne hatte sich in eine dunkle Ecke über der Tür verzogen. Als sie diese Anrede vernahm, blieb sie nach Spinnenart reglos hocken, aber innerlich jubelte sie.
    Nathanael! Das war doch schon mal was.
    Mit Vergnügen sah ich, dass der Junge zusammenzuckte. Sein Blick huschte unstet hierhin und dorthin, und er fragte sich zweifellos, ob ich im Zimmer war.
    Der Zauberer ließ sich nicht anmerken, ob er seine Frau gehört hatte, sondern beugte sich weiterhin über die Zeitung. Die Frau fing an, einen ziemlich kläglichen Trockenblumenstrauß auf dem Kaminsims neu zu arrangieren. Jetzt wurde mir auch klar, wem der Junge seine Blumen zu verdanken hatte. Vertrocknete Blumen für den Gatten, frische für den Lehrling – soso!
    Underwood blätterte abermals um, faltete die Zeitung und nahm seine Lektüre wieder auf. Der Junge stand stumm da und wartete. Jetzt, da ich nicht mehr an den Bannkreis gebunden war und deshalb auch nicht unter seinem unmittelbaren Einfluss stand, nutzte ich die Gelegenheit, um ihn ausführlicher zu betrachten. Er hatte (natürlich) seinen zerlumpten Mantel ausgezogen und war nun ordentlich mit einer grauen Hose und einem ebenfalls grauen Pullover bekleidet. Das Haar hatte er angefeuchtet und aus der Stirn gekämmt und unter dem Arm trug er ein Bündel Papiere. Ein Musterbild stiller Ehrerbietung.
    Er sah ganz unauffällig aus – kein Leberfleck, keine Narbe, keine anderen Besonderheiten. Sein Haar war dunkel und glatt, sein Gesicht eher schmal und er war sehr blass. Ein zufälliger Beobachter hätte ihn wahrscheinlich einfach übersehen. Mein geschultes, unbestechliches Auge registrierte jedoch andere Einzelheiten: den intelligenten, berechnenden Blick, die nervösen Finger, die ungeduldig auf den Papier-stoß trommelten, und vor allem das beherrschte Gesicht, das durch unmerkliche Veränderungen jeden Ausdruck annahm, der von ihm erwartet wurde. Im Augenblick hatte der Junge eine unterwürfige, aber doch aufmerksame Miene aufgesetzt, die dem alten Mann schmeicheln sollte. Gleichzeitig irrte sein Blick auf der Suche nach mir unablässig durchs Zimmer.
    Ich machte es ihm leicht. Als er in meine Richtung schaute, rannte ich ein paar Mal an der Wand auf und ab, winkte mit den Beinpaaren und wackelte fröhlich mit

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